ANALYSE. Mit all seinen Unzulänglichkeiten setzt der Kanzler auch noch auf das falsche Thema: Entscheidend wären jetzt Teuerung und Sanktionen, nicht Asyl.
Schwacher Trost für SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner: Wenn man ihr vorwirft, Zuseherinnen und Zuseher zum Beispiel mit einem ZIB2-Auftritt nicht erreichen zu können, dann ist das im Falle von Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) sogar belegt: Er hatte sich vergangene Woche darum bemüht, Asyl zum großen Thema eines EU-Gipfels zu machen. Hinterher berichtete er von einer Asylbremse und bemühte sich, in einem ZIB2-Interview darzulegen, was er erreicht habe. Damit ist er nicht durchgekommen. In einen Voting der „Krone“ erklärten am Sonntag darauf immerhin 91 Prozent, der EU-Gipfel habe zum Thema „Migrationsdruck“ nichts gebracht.
Der Kanzler drängt auf die Errichtung von Zäunen. Kritiker würden sich daran stoßen, dass das Wort Zaun in der Abschlusserklärung des Gipfels nicht vorkomme, ärgert er sich. Seine Antwort: „Wir sagen, es kommt auch nicht das Nicht-Zaun-Bauen vor.“
Karl Nehammer verstolpert sich bei einem Thema, das seiner Partei unter Sebastian Kurz die bekannten Wahlerfolge beschert hat; ohne diese würde er, Nehammer, heute nicht die Regierung führen. In der niederösterreichischen ÖVP heißt es laut Krone aber sinngemäß: Wenn man das Thema Asyl schon „spielt“, dann muss es entweder eine Lösung oder Kurz geben. Eine Lösung hat Nehammer nicht. Und Kurz kann er nicht. Das würde bedeuten, dass er bei sehr vielen Leuten allein durch Worte ankommt.
Wichtiger aber ist, dass Migration zwar ein großes, vielschichtiges Thema ist, aber nicht mehr das entscheidende. Im Zentrum stehen mittlerweile Teuerung und – in Verbindung damit – Sanktionen.
Freiheitliche gewinnen Wahlen zurzeit nicht wegen einer Flüchtlingskrise, sondern weil Preissteigerungen Menschen bis weit in die Mittelschicht hinein zusetzen, die zum ersten Mal frustriert erfahren, dass der Staat nicht alles abfedert. Herbert Kickl und Co. kommen zudem mit der Behauptung an, dass die Sanktionen gegen Russland das Grundübel seien und daher aufgehoben werden müssten – zumal sie in einem Widerspruch zur österreichischen Neutralität stehen würden.
Dem müsste Karl Nehammer begegnen. Er kann es nicht. Er ist Chef einer Partei, die sich ganz dem Populären verschrieben hat. Ihr wird nun zum Verhängnis, Preissteigerungen nicht unbemerkt lassen zu können. Das mit den Sanktionen gegen Russland würde wiederum ein paar Klarstellungen erfordern, damit es bei einer Masse sickert: Österreich ist keine Insel der Seligen mehr, hier läuft ein Angriffskrieg, der letztlich gegen ganz Europa gerichtet ist und bei dem die Neutralität, wie sie gelebt wird, keinen Schutz bieten kann. Zugespitzt formuliert: Nehammer müsste eingestehen, dass man sich hier schon zu lange etwas vormacht.