Nehammer, ein Rätsel

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ANALYSE. Zu „Gewinnabschöpfung bei Krisengewinnern“ passt Wirtschaftsminister Martin Kocher gar nicht. Das wirft Fragen auf: Weiß der Kanzler, was er will?

Ob sich Martin Kocher von einer Ohnmacht erholt hat, ist nicht überliefert. Frei nach seinem Chef, Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP), könnte der designierte Wirtschaftsminister in eine solche gefallen sein. „Alle Wirtschaftsliberalen“ würden das aufgrund seines Vorschlages tun, „Zufallsgewinne“ bei staatlichen Stromproduzenten abzuschöpfen, hatte Nehammer in einem Interview mit der Tiroler Tageszeitung behauptet. Kocher zählt in Österreich zu den wirtschaftsliberaleren Menschen – und dieser Widerspruch bringt auch schon zum Ausdruck, dass eine schwarz-türkise Linie bei allem Neustartversprechen nach wie vor schwer abschätzbar ist.

Was will die ÖVP, was will Karl Nehammer? Bei der Partei lässt sich die Frage eher nur über die Länder beantworten. Hier befindet sie sich in einem Krisenbewältigungsmodus in Vorarlberg und in einem Besitzstandswahrungsmodus in den übrigen Ländern, in denen sie regiert. In Nieder- und Oberösterreich bezeichnet sie sich schlicht als „Nieder-“ und „Oberösterreich-Partei“. Das hat etwas absolutistisches in dem Sinne, dass sie allein das gesamte Spektrum abdeckt und tut, was für die Menschen richtig sei. Sich selbst ist die ÖVP als Landeshauptmann- oder -frau-Partei genug.

Auf Bundesebene ist die Sache komplizierter. Hier war in den vergangenen Jahren Sebastian Kurz bestimmend bzw. Politik, die sich – sehr wirkungsvoll im Sinne von Wahlerfolgen – an Stimmungen orientierte. Rechtspopulistisch in Flüchtlingsfragen, linkspopulistisch bei Sozialem, solange es ausschließlich österreichische Staatsangehörige betraf. Das lief auch auf eine Abkehr vom schlanken Staat hinaus, den Wolfgang Schüssel einst propagierte bzw. auf eine Zuwendung zu einem starken Staat, wie er nun von Nehammer zumindest durch die Gewinnabschöpfung bei (teil-)staatlichen Konzernen verfolgt wird.

Aber ist das wirklich seine Politik? Zu dem Thema gibt es bisher nur ein Interview, in dem er sich entsprechend geäußert hat. Er selbst hat nicht nachgelegt, es ist auch kein Parteifreund und keine Parteifreundin aufgetreten, um begeistert beizupflichten, geschweige denn ein größeres Ganzes daraus zu machen. Das ist sehr seltsam, jedenfalls aber ungewöhnlich für einen professionellen Politbetrieb. Zurückgeblieben ist denn auch eine gewisse Irritation. Beziehungsweise der empörte Ausruf der Tageszeitung „Die Presse“: „So nicht, Karl Nehammer!“

Man könnte glauben, der Kanzler und designierte ÖVP-Chef hat im Hinblick auf den Bundesparteitag am kommenden Wochenende „nur“ einmal Stimmung bei einer Masse machen und es dabei bewenden lassen wollen. Zumal jetzt eben auch seine jüngste Personalentscheidung davon abweicht. Schon Finanzminister Magnus Brunner (ÖVP) kommt aus einem Parteiflügel, der über die Gewinnabschöpfung schäumt; dem Wirtschaftsbund. Und mit Kocher wird nun eben kein Parteifunktionär Wirtschaftsminister, sondern ein Ökonom, der sehr freien Marktverhältnissen zugeneigt ist. Einen bedingungslosen Handlanger für seine Politik wird Nehammer kaum finden in ihm. Das hat was.

Das Problem ist jedoch, dass die Antwort auf die Frage, welchen Kurs Nehammer für Österreich verfolgen möchte, schon seit fünf Monaten offen ist. Siehe etwa auch das Hin und Her zur Neutralitätsfrage. Oder die Ungewissheiten, die zu Sinn und Zweck der Reise zu Wladimir Putin geblieben sind. Verdacht: Hier mangelt es an grundsätzlichen Überzeugungen, aus der sich gewisse Ausrichtungen ergeben; die zu einer Berechenbarkeit führen würden.

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