ANALYSE. Der Innenminister stößt auch mit der Sicherungshaft für gefährliche Asylwerber auf Proteste. Substanzielles hat er jedoch nicht zu befürchten.
Nach der Messerattacke von Dornbirn will Innenminister Herbert Kickl (FPÖ) also eine Sicherungshaft für gefährliche Asylwerber. Warum nicht? Der Europarechtler Walter Obwexer hat in der „Presse“ erklärt, dass es möglich gewesen wäre, den Täter schon nach seiner Ankunft in Österreich festzunehmen. Wenn jemand trotz Einreiseverbot illegal einreise gehe das; oder wenn jemand eine Gefahr für die nationale Sicherheit oder die öffentliche Ordnung darstelle.
Kickl scheint da ganz gute Karten zu haben, auch die Opposition, die er für eine Verfassungsänderung braucht, unter Druck setzen zu können. SPÖ, Neos und Liste Pilz/Jetzt protestieren trotzdem. Einer solchen Sicherungshaft kann man aber wohl nur zustimmen. Oder etwa nicht? Genau auf diese Reaktion setzt Kickl.
Bis heute fehlt eine umfassende Analyse. Sprich: Kickl kann viel behaupten.
Der Innenminister hat es damit gerade auch in diesem Fall wieder einmal sehr einfach: Bis heute fehlt eine umfassende Analyse dazu, welche rechtlichen Möglichkeiten er und seine Behörden schon heute im Rahmen der bestehenden Gesetze hätten; und welchen Spielraum es für allfällige Änderungen im Rahmen der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), des Unionsrechts und der österreichischen Bundesverfassung geben würde. Sprich: Kickl kann viel behaupten. Zumindest als Laie kann man ihm kaum widersprechen.
Als Experte geht’s eher. Bemerkenswert ist beispielsweise, dass es mit den Haftmöglichkeiten, auf die Obwexer hinweist, möglicherweise doch nicht ganz so einfach ist. In einem Interview mit den Vorarlberger Nachrichten erklären Hannes Tretter, der das Boltzmann-Institut für Menschenrechte mitgebründet hat, und sein Kollege Adel-Naim Reyhani jedenfalls, dass derlei zwar unionsrechtlich durchgehen könnte, aber nicht EMRK-konform sein dürfte.
Klar: Expertenmeinungen werden von der österreichischen Politik nicht überbewertet.
Und was die Sicherungshaft betrifft, die Kickl nun plant, analysiert Reyhani: „Eine präventive Haft von Gefährdern ist zwar nicht prinzipiell ausgeschlossen, doch es müssen laut dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte strenge Kriterien eingehalten werden: Beispielsweise muss nachgewiesen werden, dass vom Betroffenen eine Gefahr für eine konkrete Tat ausgeht. Zudem lässt sich wohl kaum sachlich rechtfertigen, weshalb ein solcher Eingriff in das Recht auf Freiheit nur Asylwerber treffen soll.“ Ob Klickl all das bedenkt?
Klar: Expertenmeinungen werden von der österreichischen Politik nicht überbewertet. Bildungsminister Heinz Faßmann (ÖVP) hat bestätigt, dass nicht jede Entscheidung wissenschaftlich unterfüttert ist. Die Experten, die der „Task Force“ für die jüngste Strafrechtsänderung angehörten, haben das gerade am eigenen Leib erfahren: Ihre Einschätzung, dass Strafverschärfungen kontraproduktiv sein könnten (weil Angehörige dann eher von einer Anzeige absehen würden), wurden nicht einmal ignoriert. Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) antwortete auf Twitter lediglich: „Ich habe absolut kein Verständnis, wenn Experten diese #Verschärfungen kritisieren.“
Gerade bei rechtlich so sensiblen Fragen wie neuen Haftformen darf das jedoch nicht dazu führen, dass niemand mehr Vorbehalte anmeldet. Im Gegenteil, was in Österreich mehr denn je fehlt, ist eine qualifizierte Gegenöffentlichkeit, die Widersprüche verständlich und fundiert erklären kann – und so auch einem Herbert Kickl etwas entgegensetzen kann.
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