ANALYSE. Karl Nehammer ist noch immer zu sehr Parteisekretär. Damit tut er sich, vor allem aber dem Land nichts Gutes. Gerade jetzt wäre Größeres gefragt.
Vielleicht hat es damit zu tun, dass Bundeskanzler Karl Nehammer und seine Partei nicht groß zu profitieren scheinen von den äußersten Umständen; dass sie in dieser Krisenzeit nicht oder wenn, dann kaum, zulegen. Nehammer selbst hat im APA/OGM-Vertrauensindex sogar verloren gegenüber Dezember, und bei den Sonntagsfragen ist die ÖVP alles in allem deutlich hinter der SPÖ zurückgeblieben in den vergangenen Wochen. Kein Rally-’round-the-Flag-Effekt, wie ihn etwa Sebastian Kurz zu Beginn der Coronakrise genoss, als sich (im Sinne dieses Effektes) zumindest vorübergehend eine größere Masse um den Regierungschef scharte.
Das ist bei Karl Nehammer jetzt eben nicht erkennbar, weil er es unterlässt, Notwendiges zu liefern: Klarheit und Erklärungen, die Bedeutungszusammenhänge begreifbar machen könnten. Für eine größere Masse bleibt ungewiss, was jetzt für Österreich sicherheits- und verteidigungspolitisch eigentlich genau angesagt ist. Österreich erklärt sich zudem immer wieder solidarisch mit der Ukraine und verurteilt auch das Vorgehen von Wladimir Putins Russland. Beim Gas hört sich aber alles auf. Oder bei den außerordentlich vielen Vertretern, die für Moskau in der kleinen Alpenrepublik tätig sind und bei denen nicht einmal eine Ausweisung einzelner in Frage kommt, die geheimdienstlich unterwegs sein könnten. Das nährt den Verdacht, dass man sich irgendwie durchschwindeln möchte.
Bemerkenswert ist auch die Zurückhaltung zu den Preissteigerungen. SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner hat erkannt, dass hier viel Zuspruch zu holen ist, wenn man das Thema besetzt. Das heißt nicht, dass man eine weitere Gießkanne auspacken muss. Das wäre vielmehr sogar daneben, weil es alles andere als treffsicher wäre. Man muss den Leuten aber irgendetwas sagen. Und wenn es nur die Botschaft ist, dass jetzt alle den Gürtel enger schnallen müssen, man aber zusammenhalten und denen helfen werde, deren Möglichkeiten diesbezüglich begrenzt sind. Hier würde es zunehmend Bedarf für eine (potenziell) historische Rede geben.
Der Kanzler müsste das spüren. Würde man glauben. Ein Problem von ihm ist jedoch, dass er noch viel zu sehr Parteisekretär ist (der er bis 2019 unter Sebastian Kurz war). Er ist nicht der Mann der Worte. Und er kümmert sich selbst auch zu sehr um das, was er einer Parteisekretärin oder einem Klubobmann überlassen müsste: das Grobe, das mehr denn je unter der Würde eines Kanzler ist.
Die Berichte eines „frustrierten Cobrabeamten“, der anonym ausführt, wie es beim Personenschutz für Nehammer und Familie zugehe und zuletzt eskaliert sei, sind verstörend. Genauso wie die Tatsache irritiert, dass sie von der SPÖ in voller Länge über eine parlamentarische Anfrage veröffentlicht worden sind: Entweder weiß die Partei mehr, hat die Glaubwürdigkeit der Angaben bestmöglich überprüft, oder sie agiert verantwortungslos.
Vor allem aber darf sich ein Kanzler in Zeiten wie diesen nicht in einer kurzfristig angesetzten Pressekonferenz persönlich und ausschließlich dazu erklären, wie es Nahmmer am Montagabend getan hat. Dafür gibt es angemessene Reaktionsmöglichkeiten – je nachdem amtliche über Sicherheitsbehörden, rechtliche über Anwälte oder natürlich immer auch politische über die Partei oder den Klub, wo geeignete Leute dafür bereitstehen sollten. Nehammer selbst hat sich um Wichtigeres zu kümmern, das direkt wie indirekt mit dem Krieg zu tun hat und das sehr viele Menschen wirklich verunsichert und bewegt.
dieSubstanz.at spricht Sie an? Unterstützen Sie dieSubstanz.at >
1 Comment