ANALYSE. COVID-19: Sebastian Kurz begibt sich auf eine Metaebene. Das ist ein Eingeständnis, hochriskant, könnte jedoch aufgehen.
Sie erinnern sich an Mitte März, als Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) die meisten Österreicherinnen und Österreicher wohl auch mit dem Hinweis fürs Zuhausebleiben gewonnen hat, dass es nach Ostern eine Wiederauferstehung geben werde? Um bei dem Bild zu bleiben: Wir liegen noch immer am Boden und das macht naturgemäß auch Kurz mehr und mehr zu schaffen. Also begibt er sich wieder in die Zukunft, macht die Prognose, dass Herbst und Winter zwar hart werden dürften, die Pandemie alles in allem jedoch weniger lang dauern könnte als von Experten ursprünglich befürchtet. Ganz ehrlich: Wer will diese Geschichte von einem Licht am Ende des Tunnels nicht hören? 2021 werde Österreich laut Kurz zur Normalität zurückkehren können. Na bitte, das ist doch was.
Was der Kanzler da betreibt, ist eine klassische Strategieänderung: Nachdem es mit der Wiederauferstehung nach Ostern nicht geklappt hat, hat er sich selbst mitten ins Krisenmanagement hineingebegeben. Gefühlt tägliche Pressekonferenzen haben den Eindruck vermittelt, dass er alles kontrolliert. Was mit Fortdauer der Zeit und der steigenden Zahl der Pleiten und Pannen verhängnisvoll wurde: Kurz kündigt 15.000 Tests pro Tag an? Passiert nicht. Er verspricht so viel rasche Hilfe wie nötig? Passiert eher nur in Ausnahmefällen, eine Masse wird enttäuscht.
Kurz lässt die Öffentlichkeit informieren, dass er sich regelmäßig mit dem israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu abstimme? Wirklich. Dumm nur, dass der vermeintliche Vorreiter bei der COVID-19-Bekämpfung mit seinem Land nun voll von einer ersten wirklich großen Infektionswelle überrollt worden ist.
Wir sind gut durch die Krise gekommen? Dieser Hinweis von Kurz ist Geschichte. Zum einen, weil die Krise noch nicht zu Ende ist; und zum anderen, weil immer mehr Länder weniger starke Rezessionen durchmachen als Österreich. Sprich: Die „Kollateralschäden“ sind brutal.
Ganz zu schweigen vom Grenzkontroll-Debakel, das die Regierung dieser Tage erlitten hat: Grenze, Kontrolle – das waren Begriffe, für die Kurz bisher gestanden ist. Im Praxistest ist er nun folglich mit gescheitert: Entweder gab es keine Kontrolle; oder so viel, dass sie – vor dem Karawankentunnel – zu Chaos führte.
Vom Gesetzespfusch gar nicht zu reden: Kaum eine Verordnung, die nicht von Juristen zerpflückt wird; zu viel Relevantes, das vom Verfassungsgerichtshof aufgehoben wird.
Die Corona-Krisenmanagement ist alles in allem ganz und gar nicht gut, um es vorsichtig zu formulieren. Und selbst wenn es gut wäre, wäre das schon zu wenig für Sebastian Kurz: Er braucht Herausragendes. Allein das würde den Ansprüchen gerecht werden, die er bei sehr vielen Leuten weckt, die ihn denn auch gewählt haben.
Also versucht er nun, das Tagesgeschäft an Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) und andere Fachminister abzugeben und sich zum Mutmacher der Österreicher zu erheben, der darüber steht. Motto: Haltet durch, wir schaffen das. Zwei, drei Hürden noch und wir haben dieses Virus besiegt. Das Ziel ist näher als ihr glaubt!
Dumm nur, wenn die Hürden hoch und zahlreicher werden; wenn’s am Ende dann doch viel länger dauert und unendliche Opfer (bzw. auch „Kollateralschäden“) zu beklagen sind. Dann könnte die Stimmung gegen den Mutmacher kippen. Das ist das Risiko, das Kurz eingeht. Andererseits: Für die Wien-Wahl im Oktober und einen weiteren ÖVP-Erfolg könnte es jedenfalls reichen.
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