ANALYSE. Finanzmister Brunner und Sozialminister Rauch legen sich mit den Landeshauptleuten an. Inhaltlich haben sie nicht unrecht. Politisch haben sie nichts mehr zu verlieren. Das befreit.
Schwer zu sagen, wann es so etwas zum letzten Mal gegeben hat. Es ist zumindest viele Jahre her, dass Regierungsvertreter Landeshauptleute als staatspolitisch verantwortungslose Reformverweigerer dargestellt und ihre Forderung nach einem größeren Anteil an den Steuereinnahmen nicht einmal ignoriert haben. Gemeint ist zum einen Sozialminister Johannes Rauch (Grüne), der auf einer Pressekonferenz gerade erklärt hat, dass es beim Finanzausgleich auf die staatspolitische Verantwortung der Landeshauptleute ankomme. Dass er sich Reformbereitschaft bei Gesundheit und Pflege erwarte. Dass einfach mehr Geld reingeschüttet werde, das werde es nicht mehr geben. „Wie ein Irrer“ rede er auf alle Beteiligten, vor allem eben die Bundesländer, ein, strukturelle Veränderungen auf den Weg zu bringen. Heißt zwischen den Zeilen: Sie sind extrem stur.
Finanzminister Magnus Brunner (ÖVP) bekräftigte währenddessen in einem APA-Interview, nicht auf die Länderforderung nach einem höheren Steueranteil einzugehen und bei seinem Vorschlag zu bleiben, ihnen für fünf Jahre in Summe zehn Milliarden Euro für Gesundheit, Pflege und Kinderbetreuung zu überweisen. Und wenn es bei den laufenden Verhandlungen über einen neuen Finanzausgleich ab dem kommenden Jahr keine Einigung gibt? Dann wird der bestehende Ausgleich automatisch verlängert, so Brunner.
Die beiden Alemannen schlagen ganz neue Töne an: Bisherige Regel war, dass die Länder bekommen, was sie wollen. Zum Teil ist das systembedingt: In Ermangelung sinnvoller Alternativen würden häufig „einfach die getätigten Ausgaben als Indikator für den Finanzbedarf herangezogen werden“, heißt es in einer WIFO-Studie zum Finanzausgleich. Sprich: Es muss nur mitgeteilt werden, wie viel gebraucht wird. Der Bund fungiert dann als Bankomat.
Jetzt geht sich das aber weniger denn je aus: Der Steuereinnahmen sprudeln aufgrund der Abschaffung der kalten Progression nicht immer stärker, sodass sich wachsende Ausgaben nicht länger mir nichts, dir nichts bewältigen lassen. Auf der anderen Seite hat auch der Bund aufgehört, Herausforderungen, die mit der demographischen Entwicklung einhergehen (Pensionen etc.) im Auge zu behalten. Sprich: Nicht nur die Länder sind insofern Reformverweigerer, sondern auch er. Das erwähnen Rauch und Brunner nicht.
Dafür, dass sie es auf einen Krach mit den Ländern ankommen lassen, gibt es unterschiedliche Erklärungsmöglichkeiten. Beide haben nichts mehr zu verlieren. Rauch, 64, ist mit dieser Botschaft Sozialmister geworden. Bei Brunner, 51, ist das etwas anders. Es steckt noch (eher) Mitten in einer Kariere, die durch und durch politisch ist. Aber: Spätestens seit „sein“ Landeshauptmann Markus Wallner (ÖVP) vor wenigen Tagen öffentlich mitgeteilt hat, dass er beim Finanzausgleich eine „Mogelpackung“ vorgelegt habe, ist klar, dass er da nichts mehr zu gewinnen hat.
Er kann eher nur noch versuchen, sich als Vertreter einer anderen, eher bürgerlich-wirtschaftsorientierten, wenn man so will schwarzen ÖVP zu profilieren; mit offenem Ausgang. Auffallend war jedenfalls auch, wie er sich jüngst nicht selbstverständlich hinter Johanna Mikl-Leitners „Normaldenker“-Kurs gestellt hat und auch die Aussage von Vizekanzler Werner Kogler zurückhaltende kommentierte, dass dieser „präfaschistoid“ sei. Brunner sprach in einer ORF-Pressestunde vom Beginn einer Sommerloch-Debatte, betonte, dass er selbst fürs Gendern sei und ließ damit nach Ansicht des „Standard“ auch schon leise Kritik an Mikl-Leitner erkennen: Was normal ist, entscheide jeder selber.