ANALYSE. Nachdem Sebastian Kurz als Bundeskanzler zurücktreten musste, rückt ausgerechnet die Verfassungsministerin zu seinem persönlichen Schutz aus.
Bürger- und Beschuldigtenrechte sind wichtig, Aufklärung und Korruptionsbekämpfung sind wichtig. No na. Wenn jedoch jemand, der Gegenstand letzterer und politisch sehr mächtig ist, ausschließlich ersteres thematisiert, kann man sagen, es sei merkwürdig. In jedem Fall ist es aufgrund gewisser Durchsetzungsmöglichkeiten problematisch.
Konkret: Seit Ex-Kanzler, ÖVP-Chef Sebastian Kurz weiß, dass er mit Vertrauten im Visier der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) steht, gibt es nur eine Stoßrichtung von ihm und Seinesgleichen: Wie kann die WKStA diskreditiert werden? (Zum Beispiel durch den Abgeordneten Andreas Hanger.) Wie können verhängnisvolle Geschichten entschärft werden? Und wie kann verhindert werden, dass alles Wesentliche an die Öffentlichkeit gerät und so gefährliche Dynamiken ausgelöst werden?
Hier ist nun ausgerechnet Verfassungsministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) im Sinne des Ex-Kanzlers aktiv geworden. Im ORF-Report forderte sie ein „Briefgeheimnis“ für private Handykommunikation. Das ist positiv formuliert. In Wirklichkeit würde er sich um eine Art Veröffentlichungsverbot handeln.
Edtstadler lässt vermuten, dass es um die Wörter geht, die Kurz einst gegenüber Thomas Schmid gewählt hat. Wie einem Kirchenvertreter „Vollgas“ geben oder „Arsch“ für Reinhold Mitterlehner. Sie gesteht jedenfalls, dass die jüngst veröffentlichten Chats ein Bild ergeben hätten, das „ein verheerendes“, aber „nicht zutreffendes“ sei. Soll wohl heißen: Sebastian Kurz ist so, wie er sich inszeniert. Freundlich, höflich, zuvorkommend. Alles anderes sei privat.
Das entspricht einer bekannten Verharmlosungsstrategie: Kurz hat sich bisher für nichts entschuldigt. Und bedauert hat er ausschließlich die erwähnten Wörter. Edtstadler dreht das Ganze nun weiter. Er hat diese Wörter demnach nicht nur aus einer Emotion heraus geschrieben, sondern als Privatperson im Rahmen seiner Privatsphäre. Was natürlich vollkommen absurd ist: Hier geht es von vorne bis hinten ausschließlich um Macht und politisches Fortkommen.
Was die Verfassungsministerin versucht, entspricht so vielem Bisherigem: Zu Jahresbeginn sickerte der ÖVP-Plan durch, die WKStA zu zerschlagen und sicherheitshalber auch noch das Zitieren aus Ermittlungsakten unter Strafe zu stellen. Damit weniger aufgeklärt wird und damit auch wirklich nichts an die Öffentlichkeit kommt.
Später, die WKStA führte Kurz bereits als Beschuldigten wegen Falschaussage vor dem Ibiza-U-Ausschuss, war sich Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP) nicht zu blöd, zu verlangen, dass Auskunftspersonen vor einem Untersuchungsausschuss keiner Wahrheitspflicht unterliegen. Damit sie sich unverbindlich äußern können, sozusagen, jedenfalls aber nichts zu befürchten haben. Umgekehrt aber wollte Andreas Hanger unmittelbar darauf eine Wahrheitspflicht für Fragesteller in einem solchen Ausschuss. Der Widerspruch ist offensichtlich, die Logik kann man nur so verstehen: Aufklärung soll verhindert, zumindest ein Beschuldigter soll überhaupt rausgeholt werden aus dem Strudel.
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