KOMMENTAR. Alexander Van der Bellen übt sich in Zurückhaltung und überlässt es damit umso mehr Sebastian Kurz, darzustellen, wie Österreich sei.
So ist Österreich: „Viktor Orban, Sebastian Kurz und Co. haben sich durchgesetzt“, kommentieren die ARD-Tagesthemen die Vorschläge der Europäischen Kommission für eine gemeinsame Asylpolitik inkl. der Möglichkeit, sogenannte „Abschiebepatenschaften“ zu übernehmen: „Sie sind der Mainstream in der EU.“
So ist Österreich: Die Aufnahme von Flüchtlingen aus Moria ist ausgeschlossen. Selbst der langjährige CSU-Hardliner Horst Seehofer zeigt sich enttäuscht über diesen Kurs. Aber es bleibt dabei.
So ist Österreich: Eine nicht-deutsche Umgangssprache gilt per se schon als Problem.
So ist Österreich: Der Konflikt mit einem Land wie der Türkei wird gesucht und, sofern gefunden, öffentlichkeitswirksam ausgetragen; bei einem Land wie Weißrussland aber hält man sich trotz der brutalen Vorgangsweise gegen die eigene Bevölkerung zurück.
So ist Österreich: Selbst die Coronabekämpfung ist parteipolitisch. Ischgl wird ausgeblendet, Wien allein angeprangert, obwohl etwa Innsbruck noch mehr Neuinfektionen gemessen an der Bevölkerung aufweist (es liegt aber halt auch in Tirol).
Wie Österreich ist, wird im Wesentlichen durch Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) definiert. Er ist bei der letzten Nationalratswahl zwar „nur“ auf 37,5 Prozent der Stimmen gekommen und braucht daher einen Koalitionspartner; die Grünen vermögen aber nicht, groß Einfluss zu nehmen. Kein Wunder: Kurz agiert im Grunde genommen weiterhin auch im Sinne der Freiheitlichen; damit hat er eine Mehrheit.
Nun, selbst diese türkis-blaue Mehrheit erreicht keine 100, sondern 53,7 Prozent, wenn man vom Nationalratswahlergebnis ausgeht. Fragt sich: Wo sind die verbleibenden 46,3 Prozent? Wenn man an Moria denkt, dann wird sie durch die Sozialdemokratie nicht wirklich repräsentiert; Hans Peter Doskozil unterstützt auch in dieser Frage Sebastian Kurz. Die Neos sind klein, die Grünen aufgrund ihrer Regierungsbeteiligung gefangen. Bleiben zudem noch Künstler wie André Heller und Michael Köhlmeier mit beeindruckenden Appellen, Flüchtlinge aufzunehmen.
Eine Person, die Gewicht haben könnte, macht sich dagegen rar; und zwar bei diesem, aber auch all den anderen Themen: Bundespräsident Alexander Van der Bellen. 2016 ist er von einer Mehrheit direkt gewählt worden. Als Absage an eine dumpfe, intolerante, inhumane und antieuropäische Politik; bzw. als Mann, der für Toleranz, Humanität und Weltoffenheit steht – summa summarum also für ein Österreich, das ganz und gar nicht so ist, wie eingangs beschrieben.
Van der Bellen meldet sich immer wieder zu Wort, vorzugsweise über soziale Medien. Er tut es aber viel zu selten. Zu Moria appellierte er am 10. September, Größe zu zeigen, „jetzt das Richtige zu tun“. Gewalt und willkürliche Verhaftungen in Weißrussland verurteilte er am 13. August „aufs Schärfste“. Gegenüber Ländern wie Italien, die laut Kurz in ihren Systemen kaputt sind, forderte er vor dem Sommer ein weitsichtiges Verhalten; Italien liege schließlich nicht irgendwo, es sei vielmehr ein ganz wichtiger Partner.
Das kann man durchwegs unterschreiben. Warum aber ist Van der Bellen so sparsam mit solchen Botschaften? Natürlich: Dem Kanzler anschafften kann er trotz der größeren demokratischen Legitimation, die er aufgrund der Direktwahl hat, null. Mit Kritik muss er folglich haushalten, um seine Ohnmacht nicht auch noch zu unterstreichen.
Im Sinne der Mehrheit, die ihn gewählt hat bzw. der Vielen, die in Bezug auf die praktische Politik nun in der Minderheit sind, hätte der Bundespräsident aber schon sehr viele Möglichkeiten, klarzustellen, dass nicht ganz Österreich so ist, wie man gerade meinen könnte. Er könnte Heller und Köhlmeier demonstrativ besuchen, weißrussische Menschenrechtsaktivisten empfangen, öfter zur Bedeutung von Weltoffenheit und grenzüberschreitender Solidarität reden und so weiter und so fort – die (Medien-)Öffentlichkeit, die ihm dabei gewiss wäre, würde das eine oder andere zumindest wohltuend zurechtrücken.
dieSubstanz.at spricht Sie an? Unterstützen Sie dieSubstanz.at >
5 Kommentare