Bürgerverachtung, Bürgerbeschimpfung

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ANALYSE. Die Respektlosigkeiten erreichen ein neues Niveau. Jetzt wird sogar ein „lästiger“ Unternehmer öffentlich vorgeführt. Und gewissermaßen auch ein Baby, das sich noch nicht einmal erklären kann.

Zugegeben, als Alemanne ist man diesbezüglich vielleicht etwas sensibler: Politiker sind demnach auch nur Bürger, sie haben lediglich die große, ehrenvolle Aufgabe, allen zu dienen. In Österreich ist das jedoch anders: Hier nehmen sie sich Unverschämtheiten heraus, die ihresgleichen suchen.

Wo anfangen? Zunächst abstrakt: Der Umgang der Regierung mit dem Parlament lässt seit Jahren vergessen, dass das Parlament die Volksvertretung ist, die über der Regierung steht. Beziehungsweise stehen sollte. Sie lässt sich jedoch erniedrigen und wird auch ganz schön erniedrigt. Jüngstes Beispiel: Finanzminister Gernot Blümel (ÖVP) ließ die Abgeordneten beim Budget 2020 zunächst dumm sterben, indem er ihren nicht einmal Szenarien für die Entwicklungen in diesem Jahr präsentierte. Und dann, im Rahmen einer Nachbesserung, passierte eben dieser dumme Fehler, nicht anzumerken, dass die Zahlen „in Millionen“ gemeint seien. Natürlich, so etwas kann passieren. Im gesamten Kontext war es jedoch bezeichnend für den Umgang mit dem Hohen Haus.

Wozu sich jedoch mit abstrakten Beispielen aufhalten, wenn es so beklemmend praktische gibt: Familienministerin Christine Aschbacher (ÖVP) ließ es sich laut Kronen Zeitung nicht nehmen, einer notleidenden Familie persönlich Geld zu überreichen. Das Bild davon, das nicht fehlen durfte, wird ihr ewig nachhängen. Zurecht: Wie einst Jörg Haider in Kärnten steht es dafür, dass der Bürger keinen Rechtsanspruch auf Unterstützung hat, sondern allenfalls ein Almosen erhält, wenn die Herrschaft gute Presse sucht. Aschbacher gewährt einer jungen Familie eine Art Audienz und überreicht ihr – so, dass es auf dem Pressefoto gut zu sehen ist – einen Hunderter. Das ist erniedrigend gegenüber Vater, Mutter und den Nachwuchs.

Genug? Nein, hinterher erklärt Aschbacher, dass das Baby nach dem Geld greifen wollte. Sprich: Das Kleinkind, das sich noch nicht einmal erklären kann, trägt die Verantwortung dafür, dass die Szenerie so peinlich rüberkommt.

Das erinnert ans Kleine Walsertal: Dass die dortige Bevölkerung anlässlich seines angekündigten Besuches zusammenströmte und auf alle Abstandsregeln vergaß, war laut Bundeskanzlerkanzler Sebastian Kurz (ÖVP) allein ihr anzulasten. Er selbst will keine Verantwortung getragen haben, obwohl er ja den Anlass für den ganzen Aufmarsch geliefert hatte.

Im Fall des Falles ist immer der Bürger schuld. Dass in Österreich so viele Unternehmer so quälend lang auf Unterstützung warten, hat, so Sebastian Kurz im „Frühstück bei mir“ auf Ö3, möglicherweise damit zu tun, dass sie den Namen auf dem Antragsformular falsch ausgefüllt haben oder Einkommen angegeben haben, die bisher unbekannt waren. Soll heißen: Die Bürokratie macht alles richtig. Wenn hier einer etwas falsch macht, dann ist es, erraten, der Bürger.

Und wenn er aufmuckt, dann bekommt er eine Gewalt zu spüren, die einer rechtsstaatlichen Grenzüberschreitung genauso entspricht, wie einer demokratiepolitischen. Die Rede ist davon: Berndt Querfeld, gemeinsam mit seiner Familie Eigentümer des Café Landtmann und anderer Gastronomiebetriebe, beklagte im „Standard“, dass „die Hilfspakete zerplatzte Luftballons“ seien. Und so weiter und so fort, das tut hier jedoch nichts zur Sache, weil es keine Erklärung dafür ist, was folgte: Das Tourismusministerium von Elisabeth Köstinger (ÖVP) reagiert gegenüber Medien empört über die Äußerungen, lässt sickern, dass der Promi-Wirt eine Million erhalten habe und nun aufgefordert sei, alles offenzulegen. Draufgabe: Der informelle Medienminister der Regierung, Sebastian Kurz‘ Kommunikationschef Gerald Fleischmann, teilt dies auf Twitter. Merke: Wenn Sie sich nicht regierungsfreundlich verhalten, kann das böse enden für Sie. Zumal es immer auch ein paar Boulevardblätter gibt, die sich diebisch gerne beteiligen an Ihrer Hinrichtung.

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