ANALYSE. Die „Patientenmilliarde“ wurde von Kurz und Co. immer wieder angekündigt, war aber nie plausibel dargestellt. Es handelt sich um ein Beispiel dafür, einfach irgendetwas zu behaupten – und sich so gar nicht darum zu scheren, dass es nachvollziehbar ist.
In der ZIB2 vom 3. Juni hatte Moderator Martin Thür gleich zwei Gäste, die er zum Rechnungshof-Rohbericht zur Zusammenlegung von Sozialversicherungsträgern befragen konnte. Die Antworten ließen tief blicken. Die Vorgeschichte: „Wir sparen im System, wir sparen in der Verwaltung und investieren dafür bis 2023 eine zusätzliche Milliarde Euro für die Patientinnen und Patienten“, verkündete der damalige Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) bei der Präsentation dieses Reformvorhabens vor vier Jahren. Laut „profil“ stellte der Rechnungshof nun allerdings fest, dass bis 2023 keine Einsparungen zusammenkommen, sondern Kosten: „Anstelle der Einsparung von 1 Mrd. EUR ergab sich ein Mehraufwand von 214,95 Mio. EUR.“
In der ZIB2 behauptete der Generaldirektor der „Österreichischen Gesundheitskasse“ (ÖGK), Bernhard Wurzer, man müsse zwei Dinge auseinanderhalten: Die „politische Ansage einer Patientenmilliarde“ finde sich „im gesamten Gesetz nicht“. Na ja. In der Analyse über die Folgekosten, die der Regierungsvorlage beigelegt war, heißt es wörtlich: „Unter der Annahme einer linear ansteigenden Einsparung von bis zu 30% der Personal- und Sachaufwendungen der Sozialversicherung wird im Jahr 2020 ein Einsparungspotential von rd. € 99 Mio. erreicht. Dies steigt dann in den kommenden Jahren auf ca. € 433 Mio. an; das bedeutet eine Effizienzsteigerung von insgesamt ca. € 1 Mrd. in 4 Jahren.“ Das ist nicht irgendein PR-Text, sondern ein relevantes Dokument.
Ganz und gar nicht zu übersehen war der Widerspruch bei der stellvertretenden Klubobfrau der FPÖ, Dagmar Belakowitsch, die kurz darauf in der Nachrichtensendung zu Gast war. Von Thür eingeladen, sich für ihre einstige Aussage, aus der Verwaltungs- werde eine Patientenmilliarde, zu entschuldigen, erklärte sie: „Ich habe diese Aussage niemals getätigt.“ Wahr ist: „Der Patient steht bei der Kassenreform im Mittelpunkt – aus der Verwaltungsmilliarde wird eine Patientenmilliarde“, wurde Belakowitsch in einer FPÖ-Aussendung vom 14. September 2018 zitiert. Zurückgewiesen hat sie das nie. Genauer: Sie tat es erst jetzt, indem sie behauptete, das nie gesagt zu haben.
Die „Patientenmilliarde“ ist ein bezeichnendes Beispiel für Lug und Trug in einer Politik, die eher nur auf Inszenierung setzt: Es wird einfach irgendetwas behauptet, was gut – oder: besser – populär klingen mag, obwohl man ganz genau weiß, dass wenig bis nichts dahintersteckt. So ähnlich war das auch bei der Indexierung der Familienbeihilfe, die gerade erst durch den Eurpäischen Gerichtshof gekippt worden ist. Auch da war absehbar, dass es nicht haltbar ist. Auch das war ein türkis-blaues Projekt.
Bei der „Patientenmilliarde“ hatte man im Begutachtungsentwurf zunächst sogar noch selbst viel niedrigere Einsparungen angegeben. Zitat: „Unter der Annahme einer linearen Einsparung von bis zu 10% der Personal- und Sachaufwendungen des Verwaltungsbereiches der Sozialversicherung wird im Jahr 2023 ein Einsparungspotential von rd. € 33 Mio. erreicht, ohne dass hierbei das Leistungsniveau der Sozialversicherungsträger verändert wird. Dies steigt dann in den kommenden Jahren auf € 144 Mio. an; dies bedeutet eine Einsparung von insgesamt ca. € 350 Mio. in vier Jahren.“ Der Rechnungshof wunderte sich in einer Stellungnahme umgehend, dass die angekündigte Milliarde keinen Niederschlag gefunden hat. Es handelte sich wirklich nur um einen Bruchteil. Und nicht einmal er war nach Einschätzung des Rechnungshofes „nachvollziehbar“ dargelegt, stand hier doch nur „unter Annahme einer linearen Einsparung von bis zu 10% der Personal- und Sachaufwendungen“.
Dreister: In den „Wirkungsorientieren Folgekostenschätzungen“ (WFA) zur Regierungsvorlage, die zur Beschlussfassung dem Parlament übermittelt wurden, sind kurzerhand Einsparungen „von bis zu 30% der Personal- und Sachaufwendungen“ angenommen worden. Aus 10 waren 30 Prozent geworden. Das wurde vom Fiskalrat in der Luft zerrissen, wie dieSubstanz.at hier berichtete: „Nach kritischen Anmerkungen zur WFA im Begutachtungsverfahren (u. a. des Rechnungshofes) wurde die Darstellung der finanziellen Auswirkungen im Vergleich zum Ministerialentwurf in mehreren Bereichen abgeändert oder ergänzt (Änderung der Schätzung von 350 Mio EUR bis 2026 im Erstentwurf auf 1 Mrd EUR bis 2023) und ist nach Analysen des Budgetdienstes weiterhin nicht ausreichend nachvollziehbar.“
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