ANALYSE. Nach dem Zurseitetritt von Sebastian Kurz zeichnen sich keine inhaltlichen Konsequenzen ab, die unabhängig vom U-Ausschuss überfällig wären. Das kennt man von der Ibiza-Affäre.
Die ÖVP bzw. Sebastian Kurz und seine Mitarbeiter wollen sich in den vergangenen Jahren nichts zuschulden kommen lassen haben. Gut, es gab ein paar unschöne Worte, aber die sind bedauert. In Anbetracht dessen, was alles vorgefallen ist, kann man sich wundern darüber, dass das nicht nur durchgehen könnte, sondern auch darüber, dass die Türkisen darauf verzichten, von sich aus in die Offensive zu gehen.
Zu den ursprünglichen Ankündigungen von Sebastian Kurz würde es beispielsweise passen, die Parteikassen offenzulegen und ab sofort jeden Ein- und Ausgang quasi live auf einer Website auszuweisen. Oder, wenn es schon nur passiert sein soll, die Wahlkampfkostenbegrenzung 2017 um fast 100 Prozent zu überschreiten, dann zumindest für die Zukunft viel härterer Sanktionen dafür vorzusehen; in Frankreich fasst man für derlei sogar eine Haftstrafe aus. Ein solches Paket würde der eigenen Glaubwürdigkeit dienen, es würde die Bereitschaft für einen Neustart dokumentieren und politische Mitbewerber zum Teil sehr alt aussehen lassen. Umso bemerkenswerter ist, dass man glaubt, derartiges nicht notwendig zu haben.
Der Rechnungshof hat gerade versucht, Druck aufzubauen, indem er selbst Vorschläge für eine transparentere Parteienfinanzierung vorgelegt hat. Sie wurden nicht einmal ignoriert. Von Türkisen nicht, aber auch von anderen Parteien kaum bis gar nicht.
These: Es entspricht einer österreichischen Unernstigkeit im Umgang mit Steuergeld einerseits und Korruption andererseits. In einem „Zeit“-Interview hat sich Martin Kreutner, Experte in solchen Dingen, erfreulich deutlich gegen Begriffe wie „Schlawinertum“ und „Freunderlwirtschaft“ verwehrt. Das habe etwas „Nett-Folkloristisches“: „Wir müssen lernen, die Dinge beim Namen zu nennen. Freunderlwirtschaft ist letztendlich entweder Wirtschaftskriminalität oder klare Korruption. Verhaberung ist nicht echte Freundschaft, sondern der Missbrauch eines öffentlichen Mandats. Punkt.“
Vor einem Monat hatten die Grünen mit Sozialdemokraten, Freiheitlichen und Neos eine Allianz zur Aufklärung der im Raum stehenden Korruptionsvorwürfe gegen Kurz und Co. angekündigt. Jetzt wird es dazu zwar einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss geben, das sollte aber nicht alles sein.
Zu vieles liegt unabhängig davon längst auf dem Tisch: Die überfällige Enthüllung von Parteifinanzen ist erwähnt. Seit Jahren auf sich warten lässt zudem die Abschaffung des Amtsgeheimnisses und die Einführung einer Informationsfreiheit, die auch wirklich einen Fortschritt bringt. Verfassungsministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) vertröstet monatlich, Grünen-Klubobfrau Sigrid Maurer verspricht ebensoft, dass es bald dazu kommen werde. Gerade in der Pandemie, wo eine „Geht die Bürger nix an“-Mentalität vorherrscht, sieht man, wie notwendig das wäre. Oder präzisere Bestimmungen dazu, welche Chats staatliche Entscheidungsträger löschen dürfen und welche sie zur Dokumentation ihrer Arbeit für die Menschen in diesem Land aufbewahren müssen.
Hier würde es viel zu tun geben, was schon nach der Ibiza-Affäre verabsäumt worden ist. Sprich: Gerade auch die Grünen, die in der Vergangenheit als Korruptionsbekämpfer auftraten und auch im jüngsten U-Ausschuss bisweilen Kante zeigten, hätten weiterhin gute Gründe dafür, mit Sozialdemokraten, Freihieitlichen und Neos eine Sachallianz zur Korruptionsbekämpfung einzugehen.
Vizekanzler, Parteichef Werner Kogler zögert sichtlich. Es mag dem Umstand geschuldet sein, dass er seinen Spielraum als kleinerer Koalitionspartner bereits ausgereizt glaubt, nachdem er den Zurseitetritt von Sebastian Kurz erwirkt hat. Es macht die Sache aber nicht besser. Zu befürchten ist, dass inhaltliche Konsequenzen ausbleiben werden.
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