Wie sich Medien ihre Grube graben

ANALYSE. Zum Wahlkampf: Wenn sich ganz besonders eine Boulevardzeitung nicht mehr um ihre Glaubwürdigkeit schert, dann bewirkt sie gar noch das Gegenteil dessen, was sie möchte.

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ANALYSE. Zum Wahlkampf: Wenn sich ganz besonders eine Boulevardzeitung nicht mehr um ihre Glaubwürdigkeit schert, dann bewirkt sie gar noch das Gegenteil dessen, was sie möchte.

Als Journalist kann man nur hoffen, dass diese Wahl nicht zu einem medialen Super-GAU verkommt. Andererseits: Vielleicht würde es der Branche ja auch ganz gut tun. Die Sache ist jedenfalls die: Das Glaubwürdigkeitsproblem ist so groß, dass man nicht ausschließen kann, dass sich die Wählerschaft ganz anders verhält, als es von ihr erwartet wird. Es wäre nicht das erste Mal: Nicht nur Meinungsforscher haben zum Beispiel vor der ersten Runde der Bundespräsidenten-Wahl Alexander Van der Bellen als Favoriten dargestellt, sondern auch Medien. Haushoch gewonnen hat jedoch Norbert Hofer.

Und überhaupt: Gut ein Jahr ist es her, da galt Christian Kern als Superstar der heimischen Politik. Dabei hatte er nur festgestellt, dass es so nicht weitergehen kann. Was ein bisschen wenig ist. Aber in Österreich ganz offensichtlich reicht: Jetzt ist Sebastian Kurz der Superstar, weil er sagt, dass Neues notwendig ist. Was nicht falsch ist, ernsthaftem Journalismus aber nie und nimmer genügen kann. Er darf sich nicht auf Emotionen beschränken, sondern muss Fakten einfordern; er kann einen Kandidaten nicht nur, weil’s stimmungsgemäß gerade so passt, hochjubeln, sondern hat die Pflicht, ihm auf den Zahn zu fühlen: Was will er wie machen? Ist das realistisch? Unter welchen Voraussetzungen geht das? Entspricht das den wirklich großen Problemlagen des Landes? Und so weiter und so fort. Sonst erleidet Kurz irgendwann zwangsläufig das Kern-Schicksal – und das wäre nicht nur für ihn schmerzlich, die Medien hätten ein noch größeres Glaubwürdigkeitsproblem.

Irgendwann glaubt die Masse gar nichts mehr. Möglicherweise nicht einmal das, was zur Causa Silberstein bekannt wird.

Am Ende fällt alles auch auf sie zurück. Wenn sie zuerst so und dann ganz anders analysieren, kommentieren und berichten, dann dürfen sie sich nicht wundern, dass die Leute immer misstrauischer werden. Was weiß man. Es gibt ja auch die Inserate. Und so. Der Phantasie da draußen sind keine Grenzen gesetzt.

Ja, das entscheidende Problem ist, dass die Masse unter diesen Umständen irgendwann gar nichts mehr glaubt. Vielleicht nicht einmal das, was zurzeit über die Causa Silberstein bekannt wird. Womit es sogar möglich wird, dass zumindest bei den Anhängern der Partei die SPÖ-Strategie reingeht, sich als Opfer darzustellen: Kurz weiß laut Christian Kern Dinge, die noch in keiner Zeitung gestanden sind (dass die „Facebook-Redaktionen“ zwölf Mitarbeiter gehabt haben sollen); „Die Presse“ und das „Profil“ berichteten schon zweimal gleichzeitig das gleiche; und so weiter und so fort.

Damit umzugehen, ist eine Herausforderung für die Medien. Bei Qualitätstiteln kann man erwarten, dass sie sich darum bemühen, ihr gerecht zu werden. Aber beim Boulevard?

Jeder kennt die Umfragen, in denen Journalisten und Politiker abwechselnd auf den letzten Plätzen aufscheinen. 

Das ist ein eigenes Kapitel: Die Tageszeitung „Österreich“ hat die SPÖ schon einmal als „Sauhaufenpartei“ bezeichnet. Sie kann damit also schon einmal ganz grundsätzlich nicht davon ausgehen, dass sie als sachlich-differenzierendes und damit auch vertrauenserweckendes Blatt wahrgenommen wird. Sie provoziert viel eher auch eine gewisse Ablehnung. Was nachvollziehbar macht, dass Christian Kern trotz seiner bisher wohlwollenden Inseratenpolitik nicht zuletzt Respekt dafür zuteil wurde, dass er dem Blatt neuerdings keine SPÖ-Inserate mehr gewährt. Und was nun auch die Berichterstattung des Blattes in der Causa Silberstein nicht glaubwürdiger macht. Im Gegenteil, nach dieser Vorgeschichte.

Mit der Glaubwürdigkeit der Medien ist das ohnehin schon eine so eine Sache. Jeder kennt die Umfragen, in denen Journalisten und Politiker abwechselnd auf den letzten Plätzen aufscheinen. Das Meinungsforschungsinstitut „Marketagent.com“ hat im Frühjahr eine Erhebung zum Thema durchgeführt (siehe Studienbericht ab Seite 41).

Ergebnis: Die Zeitungen, die noch über die größte Glaubwürdigkeit verfügen, sind „Die Presse“ und „Der Standard“. Jeweils rund 60 Prozent der befragten Personen mit maximal Pflichtschul- oder Lehr- und Fachschulabschluss attestierten ihnen „sehr“ oder „eher glaubwürdig“ zu sein. Bei Matura- oder Uni-Absolventen waren es über 70 Prozent. Das ist eigentlich schon ernüchternd. Aber noch immer viel besser aber als das Standing der Boulevardzeitungen. Sie sind im besten Fall nur für ein Viertel der Befragten mit Matura oder Uni-Abschluss glaubwürdig. Bei „Österreich“ handelt es sich gar nur um ein Zehntel. Woraus man schließen kann, dass an die 90 Prozent dieser Gruppe ihre Zweifel haben.

Was weiß man also, wie die Wahlkampfberichterstattung wirkt? Man kann jedenfalls nicht einmal ausschließen, dass sie das glatte Gegenteil davon auslöst, was sie unter Umständen möchte – und wir auch so gehen am 15. Oktober eine Riesenüberraschung erleben werden.

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