ANALYSE. Weitere „Nulllohnrunde“: Allein bei einer Anpassung mit dem Tariflohnindex müssten Abgeordnete und Minister heute um ein Drittel mehr verdienen. Dass sie es nicht tun, ist bezeichnend für eine Unkultur.
Dem Boulevard gefällt’s: „Gehaltsstopp für Politiker kommt!“, titelt die Gratiszeitung „Heute“, nachdem der künftige Kanzler, ÖVP-Chef Sebastian Kurz, eine weitere „Nulllohnrunde“ gefordert hat und ihm fast alle gefolgt sind. No na: In Österreich kommt es noch so weit, dass sich Politiker dafür entschuldigen müssen, sich überhaupt bezahlen zu lassen. Zumal sie sich selbst längst nicht mehr trauen, sich hinzustellen und (sinngemäß) zu sagen: „Wir sind sehr viel wert, in jedem Fall aber nicht wertlos.“
Das hat auch mit der Pflege einer gewissen Unkultur zu tun, die sich schon zu lange dahinzieht und die nun eben fortgesetzt wird: Es ist nicht die erste „Nulllohnrunde“, die da 2018 kommt. Im Gegenteil. Ergebnis: Ein massiver Wertverlust. Das heutige Bezügesystem wurde 1997 eingeführt. Ein Nationalratsabgeordneter bekam damals 100.000 Schilling brutto im Monat. Was 7267,28 Euro entsprach. Heute handelt es sich um 8755,80 Euro. Bei einer Anpassung gemäß Verbraucherpreisindex der Statistik Austria müssten es jedoch viel mehr sein; 10.355,87 Euro nämlich. Und bei einer Anpassung mit dem Tariflohnindex müsste es sich überhaupt um ein ganze Drittel mehr handeln: 11.591,31 Euro nämlich.
Doch das ist bezeichnend: Auch in diesem Wahlkampf versuchten von Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) bis hin zu Kurz alle möglichen Kandidaten immer wieder zu betonen, dass sie eigentlich keine richtigen Politiker sind. Sondern irgendetwas anderes. Motto: Alles andere ist besser als das extrem negativ Besetzte.
Irgendwann muss das zwangsläufig auch zu einer Verkleinerung des Nationalrats führen. Dazu genügt ein einfaches Gesetz.
Hinterher mussten sich scheidende Abgeordnete ebenso dafür prügeln lassen, eine vorübergehende Entgeltfortzahlung in Anspruch zu nehmen wie Kern dafür, dass die Partei sein Abgeordnetengehalt aufbessert. Dabei kann man beides nicht nur rechtfertigen; es ist gut so: Will man, dass nicht nur Beamte, die sich eher karenzieren lassen können, in die Politik gehen, braucht man eine gewisse Absicherung für den Fall des Mandatsverlusts. Jemand aus der Privatwirtschaft steht dann nämlich ohne irgendetwas da – für ihn wird in der Regel keine Stelle freigehalten. Ganz zu schweigen von einem Freiberufler, der bis zum Einstieg in die Vollzeitpolitik zum Beispiel eine eigene Anwaltskanzlei geführt hat; er muss ganz neu anfangen.
Die Selbstentwertung und -verleugnung der Politik reicht jedoch noch weiter. Zum Ausdruck kommt dies in den Plänen, die direkte Demokratie zu stärken; das ist nichts anders als ein Rückzug derer, die diese repräsentativ machen sollten. Womit im Übrigen eine verhängnisvolle Dynamik entsteht: Wenn der Nationalrat ohnehin nicht mehr so wichtig ist, muss man die Abgeordneten nicht nur nicht mehr so „gut“ bezahlen, man kann auch ihre Zahl reduzieren. Was im Übrigen ein Leichtes ist; dazu genügt eine Gesetzesänderung mit einfacher Mehrheit.
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