ANALYSE. Die sogenannte Abstimmungspanne im Hohen Haus ist ebenso bezeichnend für den Umgang mit „Volksvertretern“ wie es die Antworten darauf sind.
Ja, „Volksvertreter“ steht hier ganz bewusst unter Anführungszeichen: Natürlich wird der Nationalrat vom Volk gewählt. Aber einzelne Abgeordnete? Von wegen: Sie erhalten ihr Mandat von ihrer Partei. Genauer: Sie bekommen einen mehr oder weniger aussichtsreichen Listenplatz zugewiesen und sind damit abhängig von der jeweiligen Führungsriege. Klar, es gibt Vorzugsstimmen. Auf einer Bundesliste sind aber mindestens sieben Prozent der Parteistimmen nötig, damit es zu einer Vorreihung kommt. Und damit einem Kandidaten das gelingt, muss er schon Herbert Kickl heißen. Dem ehemaligen Innenminister ist das bei der jüngsten Wahl gelungen. Er ist andererseits aber insofern ein schlechtes Beispiel, als er mit seinem zweiten Listenplatz hinter Norbert Hofer ohnehin ein fixes Mandat gehabt hätte.
Allein das macht schon deutlich, wie relativ das freie Mandat ist und wie wenig Wert dem einzelnen Abgeordneten beigemessen wird. Seinen eigenen Willen gegen seine Partei setzt er in einer entscheidenden Frage genau einmal durch. Dann wird er geschnitten und bei der nächsten Wahl nicht mehr mit einem aussichtsreichen Listenplatz bedacht. So einfach ist das.
Oder es läuft überhaupt ganz anders. Siehe die sogenannte Abstimmungspanne, die der ehemaligen 3. Nationalratspräsidentin Anneliese Kitzmüller unterlaufen ist. Zum einen war es auch für sie ganz selbstverständlich, dass alle Abgeordneten einer Fraktion gleich abstimmen. Zum anderen hat sie schlicht aufgrund der Anzahl der Mandate jeder Fraktion (und nicht der anwesenden Abgeordneten!) ein Abstimmungsergebnis angenommen. Das hätte wohl auch jemand anderem passieren können – weil es ganz einfach dem entspricht, was es nur in Österreich gibt: der Realverfassung. Ausschließlich die Partei bzw. die Fraktion zählt demnach, der einzelne Abgeordnete ist nur ein bedeutungsloser Teil davon.
Bezeichnend sind auch die Konsequenzen: Das Normalste der Welt wäre eine elektronische Abstimmungsanlage. Das Votum des Einzelnen würde demnach zweifelsfrei dokumentiert werden; das wäre eine Aufwertung. Unmissverständlich dafür sind aber nur Grüne und Neos. Die Freiheitlichen haben Sicherheitsbedenken (es könnte demnach ein Fremder die Taste drücken); die SPÖ will, dass die Anlage nur auf Antrag eingesetzt wird; und die ÖVP möchte einen Konsens unter allen Parteien – was auf „Österreichisch“ ein Vorwand ist und nein bedeutet. Das ist kein Zufall. Diese Antworten decken sich ziemlich gut mit dem Maß parteiinterner Demokratie: Bei Grünen und Neos ist es größer, bei ÖVP, SPÖ und FPÖ kleiner.
Natürlich muss man differenzieren: Der Spielraum einzelner Abgeordneter von Regierungsfraktionen ist minimal. Das liegt unter anderem daran, dass alle wesentlichen Fragen von vornherein in einem Regierungsübereinkommen festgelegt werden; und dass es bisweilen auch eine Vereinbarung gibt, nicht gegeneinander zu stimmen. Da bleibt kaum noch etwas offen. Oppositionsvertreter können mehr. Doch auch bei ihnen sind die Möglichkeiten begrenzt: Ein Gesetzesantrag schreibt sich nicht so einfach. Dazu sind in der Regel auch kompetente Leute im Hintergrund nötig.
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Womit wir bei der nächsten Sache wären, die systembedingt nicht zufällig so vorgesehen ist: Die Ressourcen des Parlaments, auf die alle Abgeordneten zugreifen können, sind zu bescheiden. Vor einigen Jahren wurde zwar ein eigener Budgetdienst eingerichtet. Und die wenigen Mitarbeiter leisten extrem Wertvolles. Sie können beim besten Willen aber nicht so viel liefern wie das Finanzministerium – auf das halt nur Regierungsvertreter zugreifen können.
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