ANALYSE. Der Abgang von Edtstadler ist eine Katastrophe für den Kanzler und ÖVP-Chef. Bei allen Differenzen.
Sonntagvormittag berichtete Bundeskanzler, ÖVP-Chef Karl Nehammer auf X (Twitter), Verfassungsministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) habe ihn am Vortag informiert, dass sie sich aus der Spitzenpolitik zurückziehen wolle, sobald eine neue Bundesregierung gebildet ist: „Selbstverständlich respektiere ich diese höchstpersönlich (sic!) Entscheidung.“
Das lässt tief blicken: Das Verhältnis zwischen Nehammer und Edtstadler ist distanziert. Das mag mit ein Grund dafür sein, dass er nicht sie, sondern Finanzminister Magnus Brunner (ÖVP) in die EU-Kommission nach Brüssel ziehen lässt. Immerhin aber hat er sie vor wenigen Wochen erst in sein Verhandlungs- oder Sondierungsteam für die Regierungsbildung geholt. Umso bemerkenswerter ist, dass sie nicht gewartet hat, bis dieser Job erledigt ist. Und dass sie laut „Kronen Zeitung“, die am Samstagabend zuerst darüber berichtet hatte, nicht nur aus höchstpersönlichen Gründen kein Regierungsmitglied mehr sein möchte in Zukunft; sondern dass ihre Entscheidung, einfache Nationalratsabgeordnete zu sein und eine Anwaltskanzler in Salzburg aufzubauen, auch „politisch“ motiviert gewesen sei.
Die scheidende Verfassungsministerin hat im Wahlkampf ebenfalls betont, dass sie nicht mehr mit Herbert Kickl zusammenarbeiten möchte. Zur Erinnerung: Als er Innenminister war, war sie in seinem Ressort Staatssekretärin. Beziehungsweise „Aufpasserin“, wie es immer wieder hieß, obwohl er trotzdem unheimlich viel anrichten konnte. Beispiel BVT-Affäre. Aber das ist eine andere Geschichte.
Man kann sich heute sehr gut vorstellen, dass Edtstadler nicht an das glaubt, worauf es derzeit hinausläuft: Eine türkis-rot-pinke Koalition mit einer ÖVP an der Spitze, die bis heute nicht den Ansatz einer vielversprechenden Erzählung dazu gefunden hat. Die eher noch als der Bundespräsident dafür verantwortlich ist, dass Kickl ohne Regierungsbildungsauftrag den Märtyrer spielen kann: Nehammer hat immer wieder bekräftigt, mit Kickl nicht zu wollen. Er hat es bisher aber nicht geschafft, das so zu begründen, dass es zumindest auch ÖVP-Wähler und -Funktionäre überzeugt, für die Andreas Babler und „die Sozialisten“ das größere Übel darstellen.
Man kann sich immer wieder wundern darüber, dass Nehammer schon Brunner ziehen lässt. Jetzt trifft es ihn, dass Edtstadler abspringt: Beide wurden nicht zufällig als potenzielle Nachfolger von ihm gehandelt. Es sind die einzigen Parteileute in seinem Regierungsteam, die halbwegs kommunizieren, unfallfrei ein Interview geben, ja im Sinne der ÖVP funktionieren können.
Brunner hat eine schlechte Budgetpolitik gemacht. Edtstadler hat u.a. mit dem Zitierverbot aus Akten einen zweifelhaften Vorstoß gemacht. Ihr ging es aber nicht darum, Medien zu gefallen, sondern Türkisen zu entsprechen, die in Korruptionsaffären verstrickt sind. Und Brunner hat nicht zuletzt nach dem Geschmack der ÖVP eine „Koste es, was es wolle“-Politik betrieben.
Was Nehammer bleibt, zeigt ein Blick auf seine Kabinettsliste: Susanne Raab, Gerhard Karner, Klaudia Tanner, Norbert Totschnig, Martin Polaschek, Alexander Schallenberg. Schlimmer: Die meisten wollen weitermachen. Damit ist nicht viel zu holen, um es salopp zu formulieren; vor allem, wenn man bedenkt, dass die nächste Regierung vom ersten Tag an Kickl zum Gegner haben wird.