Was Kurz schier unangreifbar macht

ANALYSE. Wirtschafts- und Themenlage, eigene Parteifreunde, Koalitionspartner und sonstige Mitbewerber spielen für den Kanzler und ÖVP-Chef bestmöglich zusammen. 

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ANALYSE. Wirtschafts- und Themenlage, eigene Parteifreunde, Koalitionspartner und sonstige Mitbewerber spielen für den Kanzler und ÖVP-Chef bestmöglich zusammen.

Regieren in Zeiten wie diesen ist grundsätzlich ein Traum: Österreich steht so gut da wie schon lange nicht mehr, die Beschäftigungslage ist günstig, den meisten Leuten geht es alles in allem hervorragend. Und von der politischen Warte aus gesehen kommt das Budget quasi von selbst zustande. Folglich scheinen sich vorerst auch Veränderungen zu erübrigen, die wirklich Geld bringen, schmerzlich sind und auch nachhaltig wirken; bei den Pensionen beispielsweise.

Dennoch bleibt Regieren eine Herausforderung: Womit wir bei Bundeskanzler und ÖVP-Chef Sebastian Kurz angelangt wären. Der 31-Jährige ist vor 100 Tagen mit extrem großen Erwartungen ins Amt gegangen und kann nun feststellen, dass er selbst nichts getan hat, was seine Perspektiven verschlechtert hätte. Im Gegenteil, zumindest eine relative Mehrheit der Österreicher wird keinen Zweifel daran haben, dass er’s kann. Ja, man kann sogar so weit gehen, festzustellen, dass Sebastian Kurz schier unangreifbar geworden ist. Wobei mehrere Dinge zusammenspielen.

Natürlich ist Kurz ÖVP-Chef; aber mit der ÖVP hat er nicht viel zu tun. 

Wesentliche Basis der Kanzlermacht ist seine Partei. Und was das betrifft, kann man die Verhältnisse erst langsam verstehen lernen: Natürlich ist Kurz ÖVP-Chef; aber mit der ÖVP hat er nicht viel zu tun. „Türkis“ (statt schwarz) ist so gesehen mehr als ein PR-Gag: Die ÖVP, die in Ländern und Bünden nach wie vor existiert, hat die Bundesorganisation ganz Kurz überlassen; und im Wissen, dass sie selbst mit dieser untergehen würde, hat er den größten Spielraum, den man sich denken kann. Den er nützt: In der Bundesorganisation, in der Parlamentsfraktion und zuletzt auch in der Regierung sitzen mehr denn je Leute auf ÖVP-Tickets, die mit der Partei wenig bis gar nichts zu schaffen haben – und die allein Kurz gegenüber loyal sind.

Zu Migration hat Kurz ein Porfil entwickelt, das ihn für sehr viele Wähler alternativlos macht.

Der Koalitionspartner schlägt sich im Regierungsalltag besser als in den Jahren 2000 und folgende – und ist doch dabei, sich so sehr zu beschädigen, dass Kurz es nicht bedauern muss: Wären am kommenden Sonntag Wahlen, würde die FPÖ, die noch immer seine Hauptgegnerin auf dem Wählermakt ist, gegenüber dem 15. Oktober 2017 wohl etwas zurückfallen.

Ganz entscheidend im Sinne von Sebastian Kurz ist die Themenlage: Zu Migration und allem, was damit zusammenhäng, hat er in den vergangenen Jahren ein Profil entwickelt, das ihn für sehr viele Wähler alternativlos macht. Das hat ihm den Erfolg im Oktober beschwert, wie Fritz Plasser und Franz Sommer in ihrem Buch „Wahlen im Zeichen der Flüchtlingskrise“ darlegen. Und bei jedem Zwischenfall, über den Boulevardmedien groß berichten; bei allen Problemen, wie sie zuletzt durch einen AMS-internen Bericht zum Ausdruck gekommen sind, kann er sich daher aufs Neus behaupten.

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Wobei er, von der FPÖ noch ein bisschen abgesehen, keine Mitbewerber hat, die er fürchten muss. Weder SPÖ noch die NEOS, die Liste Pilz oder die Grünen haben einen Zugang zu diesem Thema, der an die öffentliche Wirkung seines „Framing“, seiner Darstellung herankommen würde; da bleibt er vorerst ungeschlagen. Was in weiterer Konsequenz bedeutet: So lange sich das Thema und dieses Drumherum so hält, kann Kurz eigentlich nur über sich selbst stolpern.

In dieser Republik würde ein Urnengang zurzeit bedeuten, dass es nur eine sehr eingeschränkte Wahlmöglichkeit geben würde.

Doch dass Kurz über sich selbst stolpert, sollten seine Gegner nicht erwarten. Zu diszipliniert, zu gut organisiert ist er dazu. Was ihn im Übrigen ein weiteres Mal von den meisten Mitbewerbern unterschiedet.

Womit man noch einmal zu diesen kommen muss: Wenn man so will, sind die politischen Verhältnisse in Österreich zurzeit alles andere als demokratiefreundlich. Und damit ist jetzt etwas ganz anders gemeint als man zunächst vielleicht glauben könnte. Es geht darum: In dieser Republik würde ein Urnengang heute bedeuten, dass es nur eine sehr eingeschränkte Wahlmöglichkeit geben würde: Die SPÖ ist, wie ihr Geschäftsführer offen gestanden hat, (noch) nicht kampagnenfähig; die Grünen müssen überhaupt erst schauen, wie sie sich neu aufstellen könnten; und die Liste Pilz steht de facto ohne Peter Pilz da. All das ist kaum zu glauben für Kurz; so gut läuft es auch in dieser Hinsicht für ihn.

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