ANALYSE. Eine Vertraute des künftigen Kanzlers als Nationalratspräsidentin ist in Anbetracht einer ohnehin schon geschwächten Opposition ein katastrophales Signal.
Dass Elisabeth Köstinger noch nicht Abgeordnete zum Nationalrat war, dass sie relativ jung ist und so weiter und so fort, all das disqualifiziert sie nicht als Nationalratspräsidentin. Man könnte ja zum Beispiel in ihrem Sinne erklären, dass sie mit dem Europäischen zumindest bereits einem sehr großen (und in vielerlei Hinsicht auch vorbildlichen) Parlament angehört hat; und dass sie sich ein paar Kompetenzen sehr schnell aneignen kann.
Das Problem ist ein ganz anderes:
- Der Nationalrat muss zwingend ein Gegengewicht zur Bundesregierung bilden; er muss diese kontrollieren und Gesetze beschließen. Als reines Hilfsorgan der Regierung ist er überflüssig.
- Um die Rolle des Gegengewichts ist es im Falle des Nationalrats ohnehin schon schlecht bestellt. Das liegt an der massiv geschwächten Opposition: Die Grünen sind rausgeflogen, Peter Pilz hat sich gerade selbst abgeschossen. Bleiben die Neos, die für Verfassungsänderungen umworbene Partner von Schwarz-Blau sein werden. Und die Sozialdemokraten, die erst Tritt fassen müssen.
- Unter diesen Umständen wäre eine Nationalratspräsidentin oder ein Nationalratspräsident gefragt, die oder der eine gewisse Distanz im Sinne eines ordentlichen Selbstbewusstseins gegenüber Regierungsvertretern ausübt. Motto: „Mein Haus bestimmt.“
Schon in der Vergangenheit haben sich Nationalratspräsidentinnen und -präsidenten in einem ständigen Konflikt mit Ministern und dem jeweiligen Kanzler befunden. Wobei sie sich mehr (Barbara Prammer) oder weniger bis gar nicht (Doris Bures) behauptet haben, was vor allem aber eben in der Natur der Sache liegt: Werner Faymann z.B. hat sich nur widerwillig vor die Abgeordneten zitieren lassen. Obwohl er sich diesen gegenüber ganz selbstverständlich zu verantworten hatte; das war eine Verpflichtung.
Nur eine Übergangslösung? Das würde die Funktion der Nationalratspräsidentin auch noch zu einem bloßen Durchgangsposten degradieren.
Auch Sebastian Kurz gilt nicht gerade als großer Verfechter einer repräsentativen Demokratie: Sein Demokratiepaket, das er vor fünf Jahren vorgelegt hat, sah viel eher eine Schwächung zugunsten der direkten Demokratie vor. Was natürlich nicht verboten ist. So lange die Verhältnisse aber so sind, wie sie sind, hat aber auch er sie zu akzeptieren – und zu pflegen.
Schon bei der Auswahl der Kandidaten für die Nationalratswahl hat der 31-Jährige daran zweifeln lassen: Der Standard hat dokumentiert, wie unmöglich es vor dem Urnengang war, einen Interviewtermin mit Kira Grünberg zu bekommen. ORF.AT musste mitten im Wahlkampf wiederum berichten, dass Rudolf Taschner „14 Tage lang für kein Interview erreichbar“ war. Seltsam? Nicht nur: Wer Kandidaten der Öffentlichkeit vorenthält, sieht für diese nur eine Statistenrolle vor. Und das ist im Falle von Nationalratsabgeordneten nicht egal. Im Gegenteil.
>> Was für Köstinger spricht, lesen Sie hier
Und jetzt also Elisabeth Köstinger als Nationalratspräsidentin: Sie ist eine der engsten Vertrauten von Sebastian Kurz. Das ist eine ziemliche Belastung. Eigentlich disqualifiziert es sie angesichts der genannten Notwendigkeiten für den Job. Was sie jedoch nicht daran gehindert hat, das Angebot anzunehmen. Und wenn es sich dabei „nur“ um eine Übergangslösung handeln mag, bis zu dem Tag, an dem sie möglicherweise Regierungsmitglied wird, dann macht das die Sache nicht besser: Es würde die Funktion der Nationalratspräsidentin zu allem Überdruss auch noch zu einem bloßen Durchgangsposten degradieren, mit dem keinen weiteren Anforderungen verbunden sind.
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