ANALYSE. Der Bundesgeschäftsführer der SPÖ bringt bei der Mitgliederbefragung nicht nur Genossen gegen sich auf, sondern seine Partei auch um die Option, eine staatstragende Partei zu sein, die Demokratie pflegt.
Steirische Bürgermeister aus den Reihen der SPÖ fordern den Rücktritt von Bundesgeschäftsführer Christian Deutsch. Das berichtet die „Kleine Zeitung“. Anlass: Deutsch hatte den Mitgliedern am Montag signalisiert, das sie sagen können, was sie wollen. Es wird zwar eine Mitgliederbefragung über den Parteivorsitz geben, dabei werde es sich jedoch nur um eine „Willensbekundung“ handeln, die ein „Stimmungsbild“ zum Ausdruck bringt.
Der 61-Jährige schadete damit seiner Chefin Pamela Rendi-Wagner und allen, denen es nur noch darum zu gehen scheint, Hans Peter Doskozil zu verhindern. Zunächst haben sie dafür gesorgt, dass er nicht der einzige Herausforderer von Rendi-Wagner sein wird bzw. es nicht ein paar wie Andreas Babler, sondern dutzende weitere Kandidaten geben dürfte; und jetzt teilte Deutsch eben mit, dass das Ergebnis der Befragung mehr oder weniger belanglos sein wird.
Dass er sich dabei auf das Statut beruft, ist nur ein Vorwand: Relevant ist nicht nur, was dieses vorsieht, sondern auch, wozu sich entscheidende Funktionäre bekennen. In diesem Sinne könnten sie zum Beispiel sagen, dass sie sich an das Ergebnis der unverbindlichen Mitgliederbefragung gebunden fühlen. Weil ihnen die Meinung der Genossinnen und Genossen über alles geht, wenn schon eine Befragung durchgeführt wird.
Pikant: Christian Deutsch war schon vor drei Jahren Bundesgeschäftsführer. Daher zeichnete er auch dafür verantwortlich: In der Ergebnis-Präsentation zur damaligen Mitgliederbefragung über Rendi-Wagner hieß es gleich auf dem Deckblatt: „Du bestimmst unseren Weg!“
Leute wie Deutsch biegen sich Demokratie zurecht, wie es gerade passt. In seinem Fall offenbar eben Rendi-Wagner und ihren MitstreiterInnen, also insbesondere Wiens Bürgermeister Michal Ludwig und der Zweite Nationalratspräsidentin Doris Bures.
Das hat der SPÖ gerade noch gefehlt. Wenn Demokratie in den Parteien nicht gepflegt wird, gibt es insgesamt ein Problem. Und davon hat Österreich ohnehin schon mehr als genug: Die ÖVP hat sich zu einer Ein-Mann-Bewegung gewandelt, in der der Chef weitreichende Macht hat (Nehammer hat die Möglichkeiten behalten, die die Landesobleute Sebastian Kurz einst zugestanden haben); und die FPÖ ist eine Führerpartei.
Die Sozialdemokratie könnte vor diesem Hintergrund erkennen, dass es Bedarf für eine größere Partei gibt, die sich um Demokratie kümmert, die für eine Debatten- und Entscheidungsfindungskultur ebenso steht wie für Korruptionsbekämpfung sowie eine Medienförderung nach Kriterien, die für informierte Bürgerinnen und Bürger relevant sind. Es interessiert sie jedoch Nüsse.
Rendi-Wagner hat nicht gesehen, das das eine Thema wäre. Sie überlässt es den kleinen Neos und den Grünen, die sich in der Regierung in einer Art und Weise abmühen, dass es den einen Mitleid abverlangt und andere frustriert, die finden, dass sie nicht genug dafür tun.
Jetzt hätte die SPÖ die Möglichkeit, zu zeigen, wie Demokratie in den eigenen Reihen funktioniert. Sie hätte Spielregeln für ihre Befragung entwickeln und dann präsentieren können. Stattdessen präsentiert sie jeden Tag neue Spielregeln. Sie hätte sich durch Kandidatenpräsentationen um ernsthafte Meinungsbildungsprozesse bemühen können. Stattdessen schaut sie, wie man am Ende doch wieder irgendwie Rendi-Wagner durchdrücken könnte.
Diese Posse ist dazu angetan, eigene Leute zu verärgern, andere Neos und Grünen zuzutreiben, die Demokratie ernster nehmen und dritte vielleicht bei den Freiheitlichen zu halten, wo man sich zumindest nicht mehr um Demokratie bemüht.