ANALYSE. Der Verlauf der Regierungsverhandlungen entspricht nicht dem Ernst der Lage: SPÖ und Neos sind dabei, in eine türkise Falle zu gehen.
Es gibt Leute, die finden, es sei ein gutes Zeichen, dass von den Regierungsverhandlungen bisher so wenig nach außen gedrungen sei: Die vielen Teilnehmerinnen und Teilnehmer seien diszipliniert, konstruktiv und an einem Abschluss interessiert, sagen sie.
dieSubstanz.at sieht das anders: Der Verlauf der Regierungsverhandlungen ist kein gutes Zeichen. Mehr und mehr könnte man glauben, es gehöre zu einer Strategie, noch immer an keiner Erzählung zu arbeiten, worauf Türkis-Rot-Pink eigentlich hinaus solle. Ein Name und ein Untertitel wären zunächst ausreichend dafür. Weil das fehlt, haben sich Begriffe wie „Zuckerlkoalition“ durchgesetzt. Die, die davon reden, tun es mit Verachtung. Bei Kommunikationsprofis wie Gerald Fleischmann (ÖVP) kann so etwa eigentlich nicht passieren.
Der ÖVP kann das alles jedoch gefallen: Nicht, dass sie masochistisch veranlagt wäre, ihre Reformambitionen sind jedoch begrenzt. Sie will möglichst nichts ändern. Im Krisenland Steiermark hat sie sich mit der FPÖ gerade auf erste Punkte für eine Zusammenarbeit verständigt: Bezahlkarte für Asylwerber und Senkung der Strafmündigkeit auf 12. Womit für das Krisenland Steiermark exakt keine Verbesserungen einhergehen werden. Dort wäre relevant, wie man die Industrie wieder in Schwung bringt oder den ländlichen Raum vor einem Totalabsturz bewahrt. Derlei ist offenbar aber zu mühsam.
Bei den Regierungsverhandlungen auf Bundesebene ist es der ÖVP wichtig, eine Erbschaftssteuer zu verhindern, Agrarförderungen zu erhöhen, das Finanzministerium zu behalten und zu schauen, dass den Landeshauptleuten keine größeren Veränderungen zugemutet werden. Abgesehen davon bleibt natürlich Asyl immer ganz oben auf der Tagesordnung: Man versucht, sich durch Symbolpolitik über die Zeit zu retten.
Vor diesen Hintergrund wäre es sehr wichtig, dass es bei den Regierungsverhandlungen jetzt endlich einmal kracht. Aber richtig. Wenn es die SPÖ nicht zusammenbringt, dann wäre es an Neos, dafür zu sorgen. Österreich bewegt sich immer schneller in die falsche Richtung. Ex-Finanzminister der ÖVP haben eine fürchterliche Budgetlage zu verantworten. Man habe zu viel ausgegeben, gestand Magnus Brunner jüngst, als wäre das eine Lappalie. Das ist es nicht: Neun Millionen Menschen werden das in absehbarer Zeit zu spüren bekommen. Duch Belastungen in Form von Kürzungen oder Steuererhöhungen.
Umso verhängnisvoller ist, dass in Wirklichkeit ein Gegenteil davon, nämlich Investitionen und Entlastungen notwendig wären, um Transformationsprozesse (z.B. weg von Nehammers Verbrennungsmotoren) zu beschleunigen und die Wirtschaft insgesamt wieder in Schwung zu bringen; dass zugleich sehr viel Geld erforderlich ist für Klimamaßnahmen, Pflege und militärische Sicherheit etwa. Das gehört einmal in aller Deutlichkeit ausgesprochen: Wer hier für Missstände verantwortlich und jetzt nicht bereit ist, angemessen zu reagieren.
Da wird es zumindest für Neos bedrohlich, wenn hinter verschlossenen Türen nur ein Ringen um ein paar Reförmchen stattfindet: Beate Meinl-Reisinger, Freundinnen und Freunde können nicht davon ausgehen, dass ihre Wählerinnen und Wähler glücklich über fast nichts wären; beziehungsweise über keine umfassende Förderungs- und Föderalismusreform. Oder dass sie schon zufrieden wären mit der Übernahme des Bildungsministeriums durch die Partei, zumal sie sich dann mit ÖVP-dominierten Ländern und ebensolchen Gewerkschaften herumplagen müsste.
Aber auch die SPÖ steuert ohne echten Krach bei den Regierungsverhandlungen, der klärend wirkt, auf gröbere Schwierigkeiten zu: Andreas Babler ist politisch erledigt, wenn so mir nichts, dir nichts keine Millionärssteuer kommt. Es mag längst absehbar sein, hat er sich doch selbst verfahren, ist aber so: Gerade wenn er jetzt erkennen muss, dass eine solche Steuer nicht durchsetzbar ist, wäre es wichtig für ihn, dass er zumindest drei Nächte lang für die Öffentlichkeit sichtbar kämpft darum. Dass seine Anhänger erkennen, dass er sich wenigstens angestrengt hat.
Bisher ist das aufgrund des so ruhigen, vermeintlich konstruktiven Verlaufs der Regierungsverhandlungen nicht erkennbar. Mit möglicherweise fatalen Folgen: Wenn Babler durch irgendein Koalitionsprogramm ohne deutliche Akzente, die ihm entsprechen, eigene Anhänger enttäuscht, ist er als SPÖ-Vorsitzender noch weiter geschwächt als er es seit der Nationalratswahl ohnehin schon ist; dann tut er sich extrem schwer, seinen Beitrag dazu zu leisten, dass eine allfällige türkis-rot-pinke Koalition stark werden kann.