Vorsicht, Umfragen

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ANALYSE. Warum es bei der Nationalratswahl anders kommen könnte als erwartet.

Man könnte meinen, Meinungsforscher hätten sich abgesprochen: Die FPÖ liege vorne, es spitze sich aber mehr und mehr auf ein Duell zwischen ihr und der ÖVP zu. Die SPÖ sei zunehmend abgeschlagen. Und: Neos sei vor den Grünen, die Bierpartei müsse zittern; es sei nicht sicher, ob sie bis zum 29. September nicht unter die vier Prozent-Hürde rutsche, die für Einzug oder Nicht-Einzug in den Nationalrat relevant ist.

Natürlich sprechen sich „die“ Meinungsforscher nicht ab, gibt es allenfalls einen gewissen Druck, das zu liefern, was einer Erwartungshaltung und einer gängigen Einschätzung entspricht. Im Übrigen muss betont werden, dass es in der Branche wirklich gute Leute gibt, die nach bestem Wissen und Gewissen agieren.

Aber: Auch wenn man bedenkt, dass Sonntagsfragen nie Prognosen, sondern immer nur Momentaufnahmen sind, spricht es Bände, was um die EU-Wahl Anfang Juni passiert ist. Bis dahin wurden der FPÖ eher über 27 Prozent ausgewiesen, rangierte die SPÖ mit rund 23 Prozent bei praktisch allen Instituten vor der ÖVP mit 22 Prozent. Was eigentlich kein Unterschied ist, wenn man Schwankungsbreiten berücksichtigt. Umso bemerkenswerter ist jedoch, dass die meisten Hochschätzungen (veröffentlicht werden ja nicht erfasste Werte, sondern eben hochgeschätzte) zu praktisch ein und demselben Ergebnis kamen.

Dann kam die EU-Wahl, landete die ÖVP vor der SPÖ, und seither wird sie auch im Hinblick auf die Nationalratswahl von fast allen Instituten vor der SPÖ ausgewiesen. Was nicht falsch sein muss. Aber: Wo sind die Erklärungen dafür, dass die Ergebnisse plötzlich anders sind? Der Verweis auf das EU-Wahlergebnis und Dynamiken, die damit einhergingen, reicht nicht. Zumal mit der Nationalratswahl ganz andere Dynamiken einhergehen: Da geht es plötzlich nicht mehr um – Verzeihung – ein EU-Parlament, das kaum jemand kennt, sondern um den Kanzler; oder um die Verhinderung eines bestimmten Kanzlers.

Man muss extrem vorsichtig sein und Umfrageergebnisse kritischer denn je sehen. Nicht weil Meinungsforscher am Werk sind, sondern weil die Stimmungslage wohl noch nie so schwer zu erfassen war. Aus drei Gründen zum Beispiel: Kein Kanzlerkandidat verfügt über einen Bonus, allen misstraut laut APA/OGM-Index eine Mehrheit der Wähler, ja dem Favoriten Herbert Kickl (FPÖ) tun das mit rund 70 Prozent überhaupt am meisten. Das hat es noch nie gegeben. Man könnte auch sagen, dass sehr vielen Menschen in Österreich ein Niemand am liebsten wäre. Sehr viele dürften jedenfalls keine besondere Bindung zur Partei des Kandidaten haben, die sie am Ende wählen werden.

Zweitens: Eine Zeit lang schienen Quereinsteiger und Nicht-Politiker wie Dominik Wlazny sehr stark davon profitiert zu haben. Einfach anders, einfach authentisch – und schon gab es Zuspruch. Wie viel Überzeugung dahinterstand und ob das bis zum Wahltag hält, ist offen. Immerhin könnten nicht wenige Wählerinnen und Wähler irgendwann finden, dass sie im Hinblick auf die Kanzlerfrage (z.B. Kickl ja oder nein) taktisch wählen „müssen“. Da hätte ein Dominik Wlazny dann eher schlechte Karten.

Drittens: Es ist schier unmöglich geworden, treffsicher zu erfassen, was die Menschen bewegt. Es ist jedenfalls zu einfach, ihnen zehn Begriffe, wie „Teuerung“, „Krieg“ oder „Klimakrise“ vorzulegen. Es gibt ja unzählige Krisen, die mit vielen längst etwas gemacht haben. Die in Summe vielleicht dazu geführt haben, dass eine Person „Teuerung“ nennt, in Wirklicht aber auch „Krieg“ und „Klimakrise“ und eine grundsätzliche Befürchtung meint, dass sich der persönliche Lebensstandard in den nächsten Jahren verschlechtern wird. Das wäre etwas Fundamentales. Es würde wohl sogar bleiben, wenn die Teuerung zurückgeht, was sie ja tut und was im Übrigen auch dazu führt, dass in zahlreichen Befragungen eine Masse angibt, gefühlt wieder mehr Geld zur Verfügung zu haben. Diese Befürchtung könnte zu eigenen Wahlmotiven beitragen. Etwa jenem, Kickl zu wählen, weil er mit seiner Festung für eine vermeintlich geschützte Welt in einer vermeintlich guten, alten Vergangenheit sorge. Oder Andreas Babler (SPÖ), weil er einen starken, fürsorglichen Staat fordert.

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