Vorsicht, größere Gefahren

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ANALYSE. Über die Verdachtsmomente, die mit den Hausdurchsuchungen bei Sebastian Kurz-Vertrauten nach und nach bekannt werden, muss man sich nicht wundern. Bemerkenswert ist die Konsequenz der Justiz, bedrohlich sind die Antworten der ÖVP. Und zwar in doppelter Hinsicht.

Was als Korruption oder Rechtsbruch wahrgenommen wird, ist abhängige davon, was unter Korruption verstanden wird und als Rechtsbruch geregelt ist. Dabei gibt es sehr unterschiedliche Standards. In Frankreich ist Ex-Präsident Nicolas Sarkozy unlängst wegen illegaler Parteienfinanzierung zu einem Jahr Haft verurteilt worden, die er unter Hausarrest absitzen kann. Sebastian Kurz müsste schwitzen, wenn er nicht in Österreich, sondern in Frankreich Regierungschef und Parteivorsitzender wäre: Bei Sarkozy ist es darum gegangen, dass unter seiner Verantwortung mehr als 40 Millionen Euro für eine Wahlkampagne ausgegeben worden waren. Maximal die Hälfte wäre erlaubt gewesen. Kurz hatte nichts damit zu tun. Aber seine ÖVP gab für den Nationalratswahlkampf 2017 fast das Doppelte des Erlaubten aus; rund 13 statt sieben Millionen Euro nämlich. Und außer einer Geldbuße hatte das keine weiteren Konsequenzen, für Sebastian Kurz gar keine.

Geübte Praxis ist in Österreich ein Graubereich, der intransparent und/oder rechtlich nicht geregelt, politisch aber unerträglich ist. Nicht nur in Bezug auf die Parteienfinanzierung, sondern unter anderem auch auf Förderungen oder sogenannte Regierungsinserate.

Womit wir bei den Hausdurchsuchungen angelangt wären, die Medienberichten zufolge bei Sebastian-Kurz-Vertrauten im Kanzleramt, in der ÖVP-Zentrale und im Finanzministerium stattgefunden hätten. Laut Ö1 seien etwa Verdachtsmomente in Bezug auf Inserate für geschönte Umfragen zugrunde gelegen.*

Es gilt die Unschuldsvermutung, wundern muss man sich über gar nichts. Inserate sind Teil struktureller Korruption, die vorzugsweise einem Boulevard zugutekommt, der die meisten Verurteilungen wegen Regelverstößen durch den Presserat ausfasst, sich um journalistische Niveaus im Sinne einer starken Öffentlichkeit also am wenigsten schert. Und bei dem schier widersprüchliche Umfrageergebnisse veröffentlicht werden, wie dieSubstanz.at Anfang Mai hier an einem konkreten Beispiel ausführte: Bei sehr ähnlichen Fragestellungen gab es in „Österreich“ Persönlichkeitswerte für Sebastian Kurz, die ihn überaus freuen konnten, während „Heute“ Werte lieferte, die extrem besorgniserregend waren für ihn. Klar: Man kann nicht ausschließen, dass das alles auf Zufällen beruhte.

So wichtig wie das, worum es nun inhaltlich geht, erscheinen jedoch andere Dinge: Zum einen ist das die Konsequenz der Justiz, über die man immer wieder staunen darf. Sie agiert wirklich ohne Rücksicht auf Rang und Namen der Betroffenen. Zumindest sie leistet gewissermaßen einen Beitrag zu westeuropäischen – genauer: französischen – Standards. Das ist gut. Sie tut ihren Job.

Zuum anderen geht es für eine breitere Öffentlichkeit darum, der ÖVP jetzt nicht doppelt auf den Leim zu gehen. Erstens: Klubobmann August Wöginger erklärte in einer ersten Stellungnahme, man habe „kein Verständnis“ für die Hausdurchsuchungen. Die Partei meint offenbar, dass das eine Rolle spielt. Das darf es nicht. Zweitens: Laut Wöginger „will man mit aller Kraft dagegenhalten, sowohl auf der politischen als auch auf der rechtlichen Ebene“.

Das ist eine doppelte Kampfansage bzw. Bedrohung: Sie steht im Sinne fortwährender Angriffe auf die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft, bei der der ÖVP-Abgeordnete Andreas Hanger erst am Dienstag „linke Zellen“ ortete. Das war ein Vorgeschmack. Und zumal die jüngsten Hausdurchsuchungen richterlich genehmigt waren, geht es hier um mehr, nämlich einen Kampf gegen weitere Teile der Justiz. Wie erwähnt: Sie tut ihren Job. Kann sie sich aber auch auf andere Behörden verlassen, die im Unterschied zu ihr nicht unter grünem Schutz, sondern unter türkisem Einfluss stehen? Das ist alles andere als garantiert.

Ziel laut ÖVP-Wöginger-Darstellung ist es, „Sebastian Kurz und der ÖVP zu schaden“. Womit man sehen sollte, dass ein potenzieller Wahlkampf-Spin weiterentwickelt wird. Dieses „Alle gegen Kurz“ ist primitiv, aber wirkungsvoll in der Hinsicht, dass es von den Dingen ablenkt, um die es eigentlich geht, und dass es eigene Anhänger nur noch stärker bindet. Damit lassen sich noch immer Wahlen gewinnen, zumal dazu ja eine relative Mehrheit genügt. Und zumal gerade auch eine Steuerentlastung auf den Weg gebracht worden ist, die gerade bei ÖVP-Kernwählergruppen gut ankommen sollte, im ländlichen Raum genauso wie bei Großfamilien, Landwirten und Frächtern.

*Nachtrag: Auch Kurz selbst wird laut ORF.AT als Beschuldigter geführt. Es gehe um Untreue sowie Beihilfe zu Bestechung und Bestechlichkeit.

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