Volksparteien am Ende oder vor Neuanfang?

KOLUMNE VON LIBERO. Die Präsidentschaftswahl hat SPÖ und ÖVP endgültig entzaubert. Für einen Abgesang auf die beiden ehemaligen Volksparteien ist es dennoch zu früh. 

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KOLUMNE VON LIBERO*. Die Präsidentschaftswahl hat SPÖ und ÖVP endgültig entzaubert. Für einen Abgesang auf die beiden ehemaligen Volksparteien ist es dennoch zu früh.

Eines steht nach dem ersten Durchgang der Präsidentschaftswahl fest: Die Innenpolitik befindet sich in einem tiefgreifenden Umbruch. Was bisher undenkbar war, nämlich dass Oppositionskandidaten oder eine Einzelperson ohne jeden Parteirückhalt das höchste Staatsamt erlangen können, ist zur Realität geworden. Die über Jahrzehnte währende Aufteilung des Landes in Rot und Schwarz ist endgültig passé. SPÖ und ÖVP haben keine automatische Anwartschaft mehr auf die Macht, ja sie befinden sich unübersehbar in einer schweren Krise. Weder konnten sie Kandidaten anbieten, die für eine breite Mehrheit attraktiv gewesen wären, noch waren sie in der Lage, einen überzeugenden, engagierten Wahlkampf zu führen.

Diese Wahl war die logische Fortsetzung eines seit längerem anhaltenden Niedergangs und die Frage drängt sich auf: War es das dann mit SPÖ und ÖVP? Möglicherweise, aber nicht zwangsläufig. Das aktuelle Umfragehoch der FPÖ ist gewiss nicht vorrangig deren Programmangebot oder gar der Strahlkraft ihres Obmannes zuzuschreiben, wie sich auch im Etappensieg von Norbert Hofer in hohem Maße Protest gegen das politische Establishment niederschlägt. Das allerdings urgewaltig.

Die wahre Ursache für das heutige Erdbeben liegt tiefer: in der miserablen Performance der Bundesregierung. Würde die endlich beginnen, Politik zu machen, anstatt sich ständig zu bekriegen und gegenseitig zu blockieren, könnte sich die innenpolitische Großwetterlage rasch drehen. Allerdings wird es nicht reichen, wenn die beiden Koalitionspartner jetzt, angesichts einer gemeinsam verlorenen Präsidentschaftswahl, Durchhalteparolen oder neu entdeckten Gemeinschaftssinn beschwören. Das glaubt zu Recht niemand mehr.

Vielmehr werden sich SPÖ und ÖVP von Grund auf neu erfinden müssen. Das wird schwierig sein und bis jetzt ist davon nicht einmal ansatzweise etwas zu bemerken; es ist aber nicht denkunmöglich. Wobei die Voraussetzungen höchst unterschiedlich sind.

Die ÖVP verfügt nach wie vor über beachtliche organisatorische Breite in Form einer intakten, straff organisierten Bündestruktur. Sie regiert federführend in sechs von neun Bundesländern, hält in der weitaus überwiegenden Zahl der 2.100 Gemeinden die Mehrheit samt Bürgermeistern. Genau in dieser ihrer Stärke liegt umgekehrt jedoch die Schwäche der ÖVP: Sie wird von den ihr innewohnenden Partikularinteressen zerrissen, verkörpert in den Landeshauptleuten. Deren Sinn für den Gesamtstaat beruht auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner. Dementsprechend ohnmächtig ist der eigene Parteichef.

Um zu alter bundespolitischer Stärke zurückzufinden, müsste die Volkspartei wieder dem „Ö“ in ihrem Namen gerecht werden. 

Um zu alter bundespolitischer Stärke zurückzufinden, müsste die Volkspartei wieder dem „Ö“ in ihrem Namen gerecht werden. Sie müsste den Bundesstaat über föderale und regionale Interessen stellen, kurzum: den Einfluss der Landesfürsten auf ein vernünftiges Maß zurückdrängen. Zugleich müsste sie neue thematische Prioritäten setzen. Dabei könnte sie ihre Basisstärke durchaus nutzen.

Ob Reinhold Mitterlehner das überhaupt will und könnte, ob er die geeignete Führungs- und Integrationsfigur ist, ob er die nötige innerparteiliche Unterstützung bekäme, er also für einen derartigen Kraftakt stark genug wäre, kann bezweifelt werden, ist aber nicht gänzlich auszuschließen. Vielleicht setzt sich nach dem Desaster bei der Präsidentschaftswahl in der ÖVP die Erkenntnis durch, dass es wie bisher jedenfalls nicht weitergehen kann. Auch nicht durch ständiges Obmannauswechseln.

Ganz anders die SPÖ. Sie ist organisatorisch und personell ausgedünnt, um nicht zu sagen: als Partei klinisch tot. In den Bundesländern herrscht überwiegend Tristesse, auch in den einstigen Hochburgen Oberösterreich und in Steiermark. Im Westen sowieso. Kärnten trägt schwer an der Hypo-Bürde und ist mit sich selbst beschäftigt. Bleiben das Burgenland, wo sich die SPÖ nur mit freiheitlicher Unterstützung an der Macht halten kann, und Wien, wo sie drauf und dran ist, sich zu entzweien. Die SPÖ liegt strukturell in weiten Bereichen darnieder, dementsprechend kraftlos hat sie sich durch den zurückliegenden Wahlkampf geschleppt.

Bleibt die Gewerkschaft. Ob die freilich – insgesamt oder in Teilen – fähig ist, in einer zunehmend heterogenen Arbeitswelt die höchst unterschiedlichen Interessen von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern zu bündeln, hat sie bis dato nicht bewiesen. Das jedoch ist Voraussetzung für politische Gestaltungskraft. 

Dafür hätte die SPÖ die Themen. „Die Sozialdemokratie lebt, ihr fehlt nur die Partei“, schreibt „Der Spiegel“ mit Blick auf die SPD. Das gilt mindestens in gleichem Maße für Österreich.

Dafür hätte die SPÖ die Themen. „Die Sozialdemokratie lebt, ihr fehlt nur die Partei“, schreibt „Der Spiegel“ mit Blick auf die SPD. Das gilt mindestens in gleichem Maße für Österreich. Die Sehnsucht vieler Menschen nach sozialer Sicherheit, Gerechtigkeit, Teilhabe, Solidarität und allem, was Sozialdemokratie ausmacht und auszeichnet, ist groß, will aber politisch ernstgenommen werden. Dazu braucht es neue Ansätze, neue Organisationsformen, auch neue Formen der Partizipation, vor allem Leidenschaft und Leitfiguren.

Doch wer soll die SPÖ an heutige Erfordernisse anpassen? Werner Faymann wohl nicht. Er hatte lange genug Zeit dazu, ist dieser Herausforderung aber nicht gewachsen. Die Tatsache, dass die SPÖ-Programmdebatte schon seit Jahren vor sich hin dümpelt, ist Beleg dafür. Faymann verfügt offenkundig nicht über ausreichend Substanz, um eine grundlegende inhaltliche Erneuerung der Partei selbst voranzutreiben. Und um starke Personen zu fördern, fehlen ihm Phantasie und Courage. Er mag ein gewiefter Machtpolitiker sein, kann aber Parteichef nicht. Kanzler sowieso nicht. Politische Kunst ist mehr als nur zu überleben.

Der 24. April stellt zweifellos eine Zäsur dar. Die politischen Verhältnisse in diesem Land sind ab heute grundlegend anders. Ob der Termin auch das Ende der Zweiten Republik markiert, ist noch offen. Die Antwort liegt bei den einstmals großen Volksparteien, die zu schwach geworden sind, um Politik zu machen und Wahlen zu gewinnen. Womöglich auch, um sich aufzuraffen und selbst zu erneuern.

*) Der Libero ist ein politisch denkender, von Parteien und Interessenvertretungen unabhängiger Bürger.

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