Vergiftet

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ANALYSE. Bisher geheim gehaltene Nebenabsprachen der Koalitionsparteien zeugen nicht nur von einem befremdlichen Zugang zu Politik, ihre Veröffentlichung wirft auch ein Licht auf das Verhältnis zwischen den beiden.

Berichte, wonach die Grünen die ersten seien, die Sebastian Kurz (ÖVP) als Koalitionspartner überlebt hätten, sind nicht ganz falsch, aber verfrüht. Natürlich sind Werner Kogler und Co. nicht mehr mit dem Ex-Ex-Kanzler konfrontiert, hat sich dieser aus der Politik verabschiedet. Er wirkt aber noch nach. Sie selbst geben das zu verstehen, indem sie behaupten, die bisher geheim gehaltenen Nebenabsprachen zum Regierungsprogramm seien über seine Leute veröffentlicht worden. Namen werden keine genannt. Ehemalige, teils prominente Mitarbeiter von Kurz sind aber noch immer in der Volkspartei bzw. in ihrer Parlamentsfraktion tätig; sie haben dort Unterschlupf gefunden.

Das Ganze verweist auf zwei Dinge: A) Wie sehr Grüne Türkisen misstrauen. Und B) wie wenig die ÖVP mit der Kurz’schen Vergangenheit gebrochen hat. Womit klar wird, dass auch koalitionär kein echter Neustart möglich ist. Sprich: Es muss damit gerechnet werden, dass es ganz besonders parallel zum Korruptions-U-Ausschuss, der im März starten wird, weiter Brösel geben wird. Zu viele Leute sind daran interessiert, die Verteidigungslinie für Sebastian Kurz zu pflegen. Auch gegenüber Grünen.

Die Veröffentlichung des türkis-grünen Sideletters unmittelbar nach Bekanntwerden des türkis-blauen passt exakt zur Methode des 35-Jährigen. Im ORF-Sommergespräch wurde er im vergangenen August auf parteipolitisch motivierte Postenbesetzungen angesprochen. Er vermittelte den Eindruck, dass sie nur im Falle von ÖVP und FPÖ als unredlich dargestellt werden würden: „Dagegen verwahre ich mich“, erklärte er und berichtete, dass soeben auch Grünen-Verkehrsministerin Leonore Gewessler einen Aufsichtsrat umbesetzt habe, nämlich den der ASFINAG: „Das ist absolut legitim, sie kann diese Entscheidung treffen. Die Grünen sind in der Bundesregierung und vertreten den Eigentümer.“

Tatsächlich? Natürlich. Der Punkt ist jedoch nicht, wer Postenbesetzungen vornimmt, sondern wie sie erfolgen. Sind nachvollziehbare, ordentlichen Standards gerecht werdende Spielregeln vorgesehen? Eben nicht! Das ist das Verwerfliche, das auch dem türkis-grünen Sideletter anhaftet. Dort steht etwa, dass in den Ministerien „jede Regierungspartei“ für Personalentscheidungen im eigenen Zuständigkeitsbereich „direkt verantwortlich“ sei. Soll heißen: Parteien führen Ministerien. Nicht Minister, die dem Parlament Rede und Antwort zu stehen haben. Das ist Realverfassung. Nicht Verfassung. Oder, dass Bezüglich der Zusammenarbeit im ORF-Stiftungsrat auf eine „Vereinbarung der Vorsitzenden der Freundeskreise der Koalitionspartner verwiesen“ wird; und dass die Grünen ein Vorschlagsrecht für den nächsten Stiftungsratschef haben, wie laut APA einem Extrapapier zu entnehmen ist. Das straft all das Entparteipolitisierungsgerede wieder einmal Lügen. Es zeigt, was ist: Parteien führen den ORF-Stiftsungsrat de facto direkt. Dieser könnte genauso gut durch ihre Vorsitzenden gebildet werden. Wäre billiger. Wobei: Die ÖVP hätte hier allein eine Mehrheit, sie teilt sich die Macht über den Öffentlich-Rechtlichen freundlicherweise mit den Grünen. Womit diese behaupten dürfen, eine Alleinherrschaft verhindert zu haben. Das macht die Realverfassung nicht viel besser.

Das Kopftuchverbot für Lehrerinnen, das ebenfalls in einem solchen Geheimdokument vorgesehen ist, sei hier nur insofern erwähnt: Es unterstreicht, wie sehr es darin um konkrete Machtausübung geht; um Machtausübung, die allenfalls nur parteipolitisch heikel, jedenfalls aber durchgehend von allgemeinem Interesse ist. Von daher ist es ein Vergehen, das so intransparent zu praktizieren. Doch diejenigen, die es nun an die Öffentlichkeit getragen haben, wissen ohnehin, wem das schadet: den Grünen, die sonst immer von Transparenz reden.

Sie zahlen wieder einmal einen Preis dafür, sich für Klimaschutz und Regierungserfahrung auf eine Zusammenarbeit mit der ÖVP eingelassen zu haben. Damit haben sie sich auch deren Praktiken eingehandelt bzw. ermöglichen der ÖVP eine Fortsetzung ihrer Praktiken. Schlimmer für Kogler und Co.: Im Falle des Falles lassen Türkise gerne auch ganz Österreich wissen, wo sie für ihre Verhältnisse zu weit gegangen sind. Sie werden von ihrem Partner auch noch bestraft. Oder soll es sich um einen Einschüchterungsversuch handeln? Auch möglich.

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