ANALYSE. Die ÖVP setzt – mit bisher freundlicher Duldung von SPÖ und Neos – darauf, dass der Postenschacher-Prozess bald vergessen ist und alles weitergehen kann wie bisher.
Sehr wahrscheinlich ist es der größere Skandal als der Umgang der ÖVP mit dem Ausgang des Postenschacher-Prozesses gegen ihren Klubobmann August Wöginger. Dieser endete vor bald einem Monat mit einer (noch immer) nicht rechtskräftigen Diversion. Die Sache sei damit erledigt, sprach Parteichef, Christian Stocker, der zugleich Kanzler ist, um danach wieder das zu tun, was er bis dahin schon vorzugsweise gemacht hatte: Schweigen und auf bessere Zeiten warten.
In diesem Fall wartet er darauf, dass der Prozess bald vergessen ist und in Bezug auf Postenschacher alles weitergehen kann, wie bisher – was in Wirklichkeit der noch größere Skandal ist.
Es gibt in der österreichischen Politik tiefsitzendes Unverständnis für das, was sich gehört. Beim Wiener Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) äußert sich das beispielweise – wie hier ausgeführt – in der Überzeugung, dass die willkürliche Vergabe von Inseraten auf Kosten der Steuerzahler ein taugliche Instrument der Medienförderung darstelle.
Und Stocker bringt, indem er keinerlei Konsequenzen zieht aus dem Nicht-Freispruch von Wöginger, zum Ausdruck, dass er findet, Postenschacher sei damit legitimiert.
Gut, Salzburgs Landeshauptfrau Karoline Edtstadler (ÖVP) hat jüngst in einem ORF-Interview beteuert, dass man intern sehr wohl dem Ernst der Geschichte entspreche und darüber spreche. Was wohl heißen soll, dass man sich künftig zusammenreißen möchte. Das ist jedoch nicht viel mehr als nichts.
Hier geht es letzten Endes immer auch darum, das zu tun, was Stocker einst vorgegeben hat, zu wollen: Die Republik sturmfest machen im Hinblick darauf, dass eines Tages einer wie Kickl Kanzler werden und zum – auch personellen – Umbau schreiten könnte. Bleibt alles so, wie es ist, hat er weitgehend freie Hand.
Was getan werden könnte, ist bekannt. Zumindest in Fachkreisen und zum Beispiel in Gastkommentaren von Qualitätszeitungen wird die Causa Wöginger nach wie vor nicht vergessen, sondern diskutiert. Clemens Mungenast, Experte für öffentliche Finanzen und Bürokratie, fordert im „Standard“ aufgrund eines schwach ausgeprägten Unrechtsbewusstseins einen Paradigmenwechsel: „Notwendig wäre eine Objektivierungsanwaltschaft, die weisungsfrei und unabhängig gestellt ist und an die sich jeder – wichtig: auch anonym – wenden kann. Sie soll die Verfahren führen, aber auch von sich selbst aus tätig werden können. Sie soll bereits Ausschreibungen und auch Entscheidungen – am besten gleich vor einem Gericht – beeinspruchen können.“
Gleichzeitig sollte Postenkorruption laut Mungenast strenger bestraft werden. Mitglieder von Begutachtungskommissionen, die Objektivität vermissen lassen, müssten zur Verantwortung gezogen werden.
Für Peter Hilpold, Professor für Vergleichendes Öffentliches Recht an der Universität Innsbruck, „wird immer deutlicher, dass Postenschacher als Rechtsproblem anzugehen ist“. Seines Erachtens wäre Schadenersatz angebracht. Und war umfassender: „In anderen europäischen Ländern können die Staatsanwaltschaften bei Korruptionsfällen – und Postenschacher ist ein klassischer Fall von Korruption – einen „Reputationsschaden“ einklagen, den die öffentliche Verwaltung und die Republik als ganze erlitten hat.“ Sprich: Dort geht es nicht nur um Schadenersatz für Kandidatinnen und Kandidaten, die bei Postenvergaben aufgrund von politischer Korruption das Nachsehen haben.
Dass die FPÖ keinen Druck dafür macht, ist aus den erwähnten Gründen nachvollziehbar: „Weiter wie bisher“ kann ihr im Hinblick darauf nur gefallen, dass ihr bestehende Praktiken im Falle des Falles nur nützlich wären bei einem größeren Umbau des Staates. Die Grünen erwachen allmählich. Klubobfrau Sigrid Maurer, die Wöginger aus Koalitionszeiten persönlich schätzt, findet immerhin schon den ÖVP-Umgang mit seiner Geschichte einen „kompletten Wahnsinn“.
Fraglich ist, ob Sozialdemokraten und Neos, Bereitschaft und Kraft aufbringen, Druck für Notwendiges zu machen. Bisher haben sie ihre Zurückhaltung vielleicht noch damit begründen können, dass es um Wöginger gehe und er entscheidend sei für das Funktionieren der Koalition. Zunehmend tritt die Person jedoch in den Hintergrund und geht es um das Funktionieren der Republik.