Vergesst Kickl

-

ANALYSE. Mehr noch als in der Asyl- und Migrationspolitik wären ÖVP und SPÖ gefordert, in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik selbstbewusst einen eigenen Kurs entwickeln. Es ist dringlich und könnte auch mehrheitsfähig werden.

Die FPÖ hat ein Talent, Stimmungen zu erfassen und zu bedienen. Das zeigt sich im Kleinen gerade – wie hier ausgeführt – beim Widerstand gegen „Smart Meter“, also gegen digitale Stromzähler. Es geht aber viel weiter und hat vor allem mit „Anti-“ zu tun, ob Gendern, Klimaschutz vor allem aber „Ausländer“ und die EU. In einem weiteren Fall ist sie für das, was sie sich darunter vorstellt: die Neutralität.

Herbert Kickl und Co. bedienen hier Stimmungen immer wieder allein. Im Sinne einer Geschäftsidee, die Jörg Haider entwickelt hat: Leitend sind demnach nicht nur eigene Überzeugungen; maßgebend ist vor allem auch eine schnelle „Marktanalyse“: Wie stehen die politischen Mitbewerber zu Fragen, die Menschen bewegen? Im Ergebnis bezieht die FPÖ eine andere als die größeren; und zwar mit dem Kalkül, dass sie so eine relative Mehrheit erlangen kann. Aus einer pro- ist so Anfang der 1990er Jahre eine anti-europäische Partei geworden. Und, praktisch zeitgleich, eine dezidierte Anti-Ausländer-Partei.

Zum Problem gehört, dass das die einst großen Volks- bzw. Massenparteien schwer verunsichert: In der Regel vertritt die FPÖ bis heute zwar „nur“ die Position einer Minderheit; bei einer Wahl kann ihr diese, weil relativ eben eine Mehrheit, aber schon einmal Platz eins bringen. Das setzt ÖVP und SPÖ zu. Vor allem auch, weil das über die Jahre auf ihre Kosten gegangen ist und geht. Salopp formuliert: Die FPÖ nimmt ihnen Wähler ab.

Und das Verhängnis nimmt seinen Lauf: Besonders bei der ÖVP hat man in den vergangenen Jahren gesehen, dass ihre Antwort darauf lautet, sich inhaltlich an der FPÖ zu orientieren. Es ein Stück weit so zu machen wie sie. Das ist jedoch Selbstaufgabe. In der heutigen Regierung stehen Innenminister Gerhard Karner und Integrationsministerin Claudia Plakolm (beide ÖVP) dafür.

In Bezug auf die Sicherheits- und Verteidigungspolitik sowie Europa und die EU ist es nicht viel anders: Zu lange schon scheuen sich ÖVP, aber auch SPÖ, hier der FPÖ zu widersprechen, geschweige denn Zugänge zu pflegen, die sich deutlich unterscheiden. Das Ergebnis ist eine verschämte Sicherheits- und Europapolitik. Es gibt etwa kein Werben für eine Verteidigungsunion, weil alles, was mit EU zu tun hat, grundsätzlich zu negativ behaftet erscheint und man sich damit nur eine Neutralitätsdebatte einhandeln würde, bei der man ausschließlich zugunsten der FPÖ verlieren könnte, wie man glaubt.

Das ist jedoch einen Irrtum: Die FPÖ vertritt eigentlich nie die Positionen einer absoluten, einer schier überwältigenden Mehrheit. Der Eindruck täuscht, weil zu selten dagegengehalten wird. Beispiele: Es ist nicht so, dass eine Mehrheit gegen Flüchtlingshilfe ist. Im Gegenteil, laut jüngster Eurobarometer-Standarderhebung ist eine (Drei-Viertel-)Mehrheit dafür. Oder: In Österreich stehen relativ viele Menschen der EU distanziert bis ablehnend gegenüber, eine Volksabstimmung über einen Austritt würde jedoch klar scheitern.

Andererseits ist eine Mehrheit für die Neutralität, weiß laut AFP3-Erhebung der Uni Innsbruck aber, dass sie nicht schützt. Es geht hier eher um einen Mythos und etwas Identitätsstiftendes als um Sicherheit. Insofern überrascht es wenig, dass laut Eurobarometer zum Beispiel 79 Prozent der Österreicher dafür sind, die europäische Zusammenarbeit in Verteidigungsfragen zu stärken.

Das könnte, ja müsste ÖVP und SPÖ ermuntern, in Anlehnung an ihr Regierungsmotto Notwendiges, ja Dringliches zu starten: Eine offene Aussprache zur militärischen Sicherheit. Es muss noch klarer werden, welche Bedeutung die Neutralität noch hat: Gegen Putin, der von der Macht des Stärkeren ausgeht und nicht nur der Ukraine, sondern Europa den Kampf angesagt hat, keine. Es muss umgekehrt klar werden, was Österreich auch im eigenen Interesse zur Verteidigung Europa beiträgt – zur militärischen Abschreckung, aber auch zur Stärkung der rechtsstaatlichen Demokratie, um zu verhindern, dass unter einem Mann wie Kickl ungarische Verhältnisse einkehren, die Putin nur gefallen würden.

dieSubstanz.at ist ausschließlich mit Ihrer Unterstützung möglich. Unterstützen Sie dieSubstanz.at gerade jetzt >

dieSubstanz.at – als Newsletter, regelmäßig, gratis

* erforderliche Angabe


Könnte Sie auch interessieren

DSGVO Cookie Consent mit Real Cookie Banner