Vergessenes „Migrationspapier“

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ANALYSE. Die SPÖ lässt Chancen aus, auf einem entscheidenden Feld für sie und eine Ampelkoalition zu punkten – und vor allem auch mit Doskozil umzugehen.

Nachdem der burgenländische Landeshauptmann Hans Peter Doskozil vor wenigen Tagen versucht hatte, sich als SPÖ-Spitzenkandidat für die nächste Nationalratswahl zu empfehlen, war Bundesgeschäftsführer Christian Deutsch um Beruhigung bemüht: Es gebe keine Differenzen, auch nicht bei den Themen Asyl und Migration, erklärte er im Ö1-Mittagsjournal: Es gelte noch immer ein 2018 beschlossenes Papier.

In Wirklichkeit hat Deutsch damit einen wunden Punkt getroffen: Bei dem Papier, das Doskozil und der Kärntner Landeshauptmann Peter Kaiser (SPÖ) noch unter Pamela Rendi-Wagner-Vorgänger Christian Kern erstellt hatten, handelte es sich eher nur um einen Versuch, Doskozil zufrieden-, ja ruhigzustellen. Mit der Fertigstellung glaubte man, diese Übung auch schon erledigt zu haben und das Papier verschwinden lassen zu können.

Von daher ist es kein Wunder, dass kein Mensch mehr weiß, was drinnen steht. Es gibt jedoch einen weiteren Grund. Zu den Themen Flucht und Migration ist es überwiegend an die europäische Politik gerichtet. Es taugt daher nur bedingt für innenpolitische Auseinandersetzungen: Mit Forderungen wie jener nach einem „europäischem Marshallplan für Afrika und Entwicklungsländer“ oder einem gemeinsamen europäischen Asylsystem oder der „Etablierung von Verfahrenszentren an den EU-Außengrenzen“ oder einer besseren Kontrolle der europäischen Außengrenzen durch eine gemeinsame europäische Mission kann man Bundeskanzler Karl Nehammer und Innenminister Gerhard Karner (beide ÖVP) schwer direkt herausfordern. Man kann ihnen lediglich vorwerfen, sich in Brüssel nicht dafür einzusetzen.

Das ist eine verhängnisvolle Sache für die SPÖ: Sie würde mögliche Antworten auf die Probleme und Herausforderungen brauchen, mit denen Österreich hier und heute konfrontiert ist; bei denen Nehammer und Karner überfordert sind und daher Freiheitliche mit Botschaften wie „Asylstopp“ oder „Grenzen dichtmachen“ allein gewinnen.

Der Schaden für die SPÖ kann kaum überschätzt werden: Wenn es ihr nicht gelingt, Überzeugendes zu liefern, was bisherige ÖVP- bzw. ehemalige FPÖ-Wähler in größerer Zahl überzeugt, kann sie schwer Erste werden; wird sie auch kaum eine Mehrheit für eine allfällige Ampelkoalition zusammenbringen – ihr Job dafür wäre es, Wähler in der Mitte und durchaus auch rechts davon zu überzeugen; um Linke kümmern sich überwiegend Grüne.

Bemerkenswert ist, dass die SPÖ auch Teile ihres Positionspapiers „Flucht – Asyl – Migration – Integration“ vergessen hat, die sehr wohl in die Zuständigkeit der Innenpolitik fallen. Neben Allgemeinplätzen wie „Integration vor Zuzug“ sind dies etwa „Entwicklung einer österreichischen Migrationsstrategie“ und „Erstellung eines Integrationsleitbilds für Österreich mit Rechtsanspruch, aber auch persönlicher Verpflichtung zu Integration ab dem ersten Tag“: Von der Partei selbst liegt nach vier Jahren nichts Erkennbares dazu vor, sie fordert aber auch die Regierung nicht in einer Art und Weise dazu auf, hier etwas vorzulegen, damit sie sich selbst gegenüber einer breiteren Öffentlichkeit zumindest als integrationspolitische Offensivkraft präsentieren könnte, die im Unterschied zu Integrationsministerin Susanne Raab (ÖVP), geschweige denn Freiheitlichen, wirklich konstruktiv sein möchte.

Wichtig noch: Indem die Bundespartei dieses Papier nicht lebt, verzichtet sie auch auf einen Hebel gegenüber Hans Peter Doskozil. Es trägt seine Handschrift, es könnte als Möglichkeit dienen, ihn, wenn schon nicht in die Pflicht zu nehmen, dann einzubinden. Oder sollte man, nachdem er jetzt so offen mit Rendi-Wagner gebrochen hat, schreiben, es hätte die Möglichkeit dazu geboten? Nein: Als erfolgreichster Landespolitiker der SPÖ wird Doskozil immer ein wichtiger Teil von ihr sein. Sie wird nicht umhinkommen, einen Weg zu finden, mit ihm umzugehen.

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