Ungeniert wie kurzsichtig

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ANALYSE. Selbst beim ORF-Publikumsrat bemüht sich die Regierung nicht einmal, einen Anschein zu wahren. Das könnte sich rächen.

„Entparteipolistisierung“ war angesagt. Kanzler Christian Stocker (ÖVP), Vize Andreas Babler (SPÖ) und Außenministerin Beate Meinl-Reisinger (Neos) vermittelten den Eindruck, dass ihre Regierung bei Postenvergaben transparent und ohne geheime Sideletter vorgehen möchte. „Kein Weiter wie bisher.“ Bald stellte sich jedoch heraus, dass es hinter dem Rücken von Meinl-Reisinger zwischen Stocker und Babler sehr wohl zumindest eine Absprache gab, die gegenüber der Öffentlichkeit nicht offengelegt wurde.

Wie Finanzminister Markus Marterbauer (SPÖ) jetzt in einem „ZIB2“-Interview bestätigt hat, wurde die Nominierung von Karl Nehammer (ÖVP) fürs Präsidium der Europäischen Investitionsbank vollkommen intransparent fixiert. Sie war nicht im Regierungsprogramm ausgewiesen. Was Marterbauer bedauert: „Dann wäre es vielleicht für mich in der Öffentlichkeit noch einfacher gewesen.“ In seine Verantwortung ist die Nominierung nämlich gefallen.

Und überhaupt: „Entparteipolistisierung“ ist seit Jahrzehnten auch ein Schlagwort in Bezug auf den ORF und seine Gremien. Es ist jedoch die Ausnahme, dass sich eine Partei bemüht, sie zu leben. Neos zum Beispiel hatten für die vergangenen fünf Jahre die Medienmanagerin Anita Zielina in den Stiftungsrat entsendet. Alles in allem ist das oberste Aufsichtsgremium aber eher ein Abbild des Parlaments geblieben. Mit Freundeskreisen statt Fraktionen.

Jetzt sind von der Regierung neue Mitglieder nicht nur für den Stiftungsrat, sondern auch den Publikumsrat bestellt worden. Laut ORF-Gesetz dient er der Wahrung von Hörer- und Seherinteressen. Umso bemerkenswerter ist, wie sehr auch hier Parteipolitik im Spiel ist.

Was die Publikumsräte betrifft, ist laut „Standard“ kein Besetzungsschlüssel offengelegt worden. Er ist also geheim geblieben. „Kolportiert“ werde jedoch ein Verhältnis „von je vier für SPÖ und ÖVP und eines für die Neos“.

Nicht bei allen, aber bei zu vielen ist das erkennbar, wird also dem Geist des ORF-Gesetzes widersprochen, wonach Parteipolitik gerade hier keine Rolle spielen sollte: Bestellt worden ist zum Beispiel Beatrix Karl für den Bereich Hochschulen. Auf Wikipedia wird die heutige Rektorin der Pädagogischen Hochschule Steiermark zurecht nicht nur als Wissenschaftlerin, sondern auch als ehemalige „Politikerin (ÖVP)“ bezeichnet: In den 2000er und 2010er Jahren war sie für die Partei Nationalratsabgeordnete sowie Wissenschafts- und Justizministerin.

Oder Michaela Huber für den Bereich Sport. Alleinfalls auch Ausdruck dessen, wie sehr in Österreich auch Sport politisch ist: Einst in ÖVP-Ministerkabinetten tätig, ist sie heute ÖBB-Managerin. Hier ist jedoch ihre Funktion als Vizepräsidentin der „Sportunion“ relevant, die kein Teil der Volkspartei ist, aber zu deren Welt gehört: Präsident ist der stellvertretende Generalsekretär des ÖVP-Wirtschaftsbundes, Peter McDonald, eine der weiteren Vizepräsidentinnen neben Huber die künftige ÖVP-Salzburg-Chefin und baldige Landeshauptfrau Karoline Edtstadler.

Beim Bereich Jugend ist es nicht viel anders. In der Regierung ist es offenbar der SPÖ überlassen worden, zu bestimmen, wer ihn vertreten darf. Die Wahl ist jedenfalls auf Matthias Hauer von der Gewerkschaftsjugend gefallen.

Das kann man auch als Ausgleich betrachten. Bloß: Es ist kurzsichtig. Man sollte nie vergessen, dass früher oder später einer wie Herbert Kickl (FPÖ) Kanzler werden könnte. Und dass er dann schwer kritisiert werden könnte, wenn er hier ein Muster einfach fortsetzt – nur halt mit Leuten, die seinen oder freiheitlichen Vorstellungen entsprechen.

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