ANALYSE. Die Grünen ziehen mit der Klimaaktivistin Lena Schilling in die EU-Wahl. Vielleicht werden sie mit ihr sogar ein bemerkenswertes Ergebnis zusammenbringen. Es geht jedoch um mehr.
In Zeiten, in denen eine Bierpartei ernstgenommen werden muss, zumal ihr Chef Dominik Wlazny bei der Bundespräsidenten-Wahl 2022 mehr als acht Prozent erreicht hat, sollte man nichts ausschließen. Lena Schilling könnte als Spitzenkandidatin bei der EU-Wahl für die Grünen trotz ihrer politischen Unerfahrenheit (als Akteurin) ein sensationelles Ergebnis holen; oder vielleicht sogar gerade deshalb, weil sie authentisch und leidenschaftlich wirkt und weil sie überzeugend für ein Thema steht, das einem Teil der Wählerschaft wichtig ist (Klimaschutz).
In Zeiten, in denen das Vertrauen in Politik und Politiker:innen gering ist, ist es aus parteitaktischer Sicht vielleicht sogar eine ausgesprochen kluge Entscheidung der Grünen, auf eine 23-jährige Quereinsteigerin zu setzen, die als Klimaaktivistin bekannt ist. Andererseits steht es aber auch für ein Eingeständnis: Mit einer klassischen Berufspolitikerin, einem klassischen Berufspolitiker ist es bei einer EU-Wahl schwer bis unmöglich, auf 15 oder mehr Prozent zu kommen. Es sei denn, man macht es wie Harald Vilimsky mit Unterstützung von Herbert Kickl und tritt mit der Abrissbirne auf.
Es ist schon auch riskant, was Vizekanzler und Grünen-Chef Werner Kogler hier entschieden hat und was bei einem Parteikongress im Februar fixiert werden soll: Bei dieser Wahl könnte es zu einem massiven Rechtsruck kommen, der durch den Zusammenfall mit einem solchen Ruck in mehr und mehr Staaten dazu führt, dass die europäische Integration nicht nur gestoppt, sondern sogar rückgeführt wird – hin zu einem „Europa der Vaterländer“, wie es Viktor Orbán und Hebert Kickl gefällt.
Gerade die österreichischen Grünen, die einst gegen einen Beitritt zur Europäischen Union waren, heute aber die pro-europäischste Kraft neben Neos sind auf nationaler Ebene, müssen hohen Ansprüchen gerecht werden bei der Verteidigung Europas. Aus ihren Reihen kommen einige Leute, die sich einen Namen gemacht haben. Johannes Voggenhuber etwa oder Ulrike Lunacek und Michel Reimon.
Andererseits war die Liste möglicher Kandidatinnen und Kandidaten überschaubar. Zuletzt befanden sich unter anderem Verkehrsministerin Leonore Gewessler und Justizministerin Alma Zadić darauf. Für grundsätzliche Europapolitik sowie Erfahrung und Gewicht diesbezüglich stehen sie kaum mehr als Lena Schilling.
These: Hier rächt sich eine Vernachlässigung des Themas, die in Österreich im Allgemeinen besteht. Hier macht sich für die Partei von Kogler aber auch bemerkbar, dass sie in der Regierungsbeteiligung zu vieles vernachlässigt: inhaltliche Auseinandersetzungen genauso wie ein Bemühen, neue Leute neben ihm, Gewessler, Zadić und Klubobfrau Sigrid Maurer aufkommen, sich entwickeln und profilieren zu lassen.