ANALYSE. Der Finanzminister macht sich in Bezug auf die Wien Energie zum Teil einer türkis-roten Auseinandersetzung. Allein: Damit gewinnt er nichts – außer schnellen Applaus aus den eigenen Reihen.
Bei der Sache mit der Wien Energie gehe es nicht um politisches Kleingeld, sondern um sehr viel Steuergeld, erklärt Finanzminister Magnus Brunner (ÖVP) im Interview mit der Sonntags-Krone. Korrekt wäre gewesen, festzustellen, dass es sowohl um das eine als auch um das andere geht. Türkise können der Verlockung nicht widerstehen, auf Rote einzutreten, die aufgrund der jüngsten Ereignisse ohnehin schon darniederliegen, von einem SPÖ-Skandal zu reden und zu glauben, einen Beitrag dazu leisten zu müssen, dass sozialdemokratische Träume vom Kanzleramt platzen.
Der Finanzminister ist nicht unbeteiligt. Wobei es immer wieder ein Sowohl-als-auch gibt: Zur Wien Energie liegt unter anderem ein sozialdemokratisches Kommunikationsversagen vor, das insbesondere Bürgermeister Michael Ludwig und Finanzstadtrat Peter Hanke zu verantworten haben. Im Übrigen gibt es mittlerweile auch ein Eingeständnis aus dem Unternehmen: Es hat mitgeteilt, Strom nicht mehr im Rahmen langfristiger Termingeschäfte, sondern kurzfristig an den Spotmärkten zu kaufen und zu verkaufen. Begründung: Das sei „liquiditäts- und risikoschonender“. Was bisher lief, war demnach aus heutiger Sicht also risikoreicher. Von wegen „alles richtig gemacht“. Das ist relativ. Genaueres wird unter anderem allerdings erst durch den Rechnungshof festzustellen sein.
Alles in allem dürfte die ganze Geschichte die Sozialdemokratie erschüttern. Diese Annahme liegt nahe, weil es um Grundbedürfnisse (Energieversorgung) geht, die nicht mehr so gesichert erscheinen wie bisher. Die SPÖ trifft das wiederum besonders, weil von ihr viel eher eine solche Absicherung erwartet wird als zum Beispiel von einer Partei, die freien Märkten das Wort redet.
Die ÖVP versucht das zu verstärken. Das kann man machen. Für eine Regierungspartei ist es jedoch kurzsichtig. Brunner mag in der Krone zwar auf drei Seiten speziell auf die Wien Energie angesprochen worden sein, seine Bemerkung, ihm sei „nichts von Schwierigkeiten anderer Unternehmen bekannt“, ist jedoch irritierend. Tags zuvor hatte Wirtschaftskammer-Präsident Harald Mahrer (ÖVP) im Ö1-Journal zu Gast vor einer Schließungswelle gewarnt. Wegen der Energiekrise sei die wirtschaftliche Situation ernster als in der Coronapandemie. Die unterschiedlichsten Branchen seien betroffen. Sieht der Finanzminister das? Dem Interview ist es nicht zu entnehmen, und Brunner hätte es von sich aus ansprechen müssen. Es liegt nicht an der Fragestellerin, sondern an ihm, zu sagen, was zu sagen ist. Zu viel steht auf dem Spiel.
Bisher bemüht sich vor allem der türkise Teil der Regierung mehr schlecht als recht, mit populären Abfederungsmaßnahmen durch die Krise zu kommen. Jetzt betreibt er eine selektive Problemwahrnehmung und legt den Fokus allein auf Wien Energie. Das ist durchschaubar. Trotzdem gemacht wird es, weil man selbst in Not ist: Nicht nur, dass es Karl Nehammer bisher nicht gelungen ist, die ÖVP zu stabilisieren, sie droht auch in Tirol und bald darauf in Niederösterreich massiv zu verlieren. Also kämpft sie dagegen, unterlässt es, die Menschen mit einem harten Winter und (vorerst womöglich) schmerzlichen Systemumstellungen zu konfrontieren, um einen weiteren harten Winter 2023/24 zu vermeiden. Und aufgrund der drohenden Wahlniederlagen kommt auch das, was, Brunner zurzeit macht, in der eigenen Klientel so gut an: Zum ersten Mal seit Sebastian Kurz ist da wieder einmal einer, der gegenüber der Partei, die man noch immer am meisten ablehnt, aus einer Position der Stärke heraus auftritt; gegenüber der SPÖ nämlich. In der eigenen Misere wirkt das wie ein Wohltat.
Allein: Ob es der ÖVP hilft, bei kommenden Wahlen besser abzuschneiden, ist fraglich. Abgesehen davon, dass es allenfalls gelingt, die SPÖ als Mitbewerbern zu schwächen, bleibt mittel- und langfristig entscheidend, wie gut es ihr, der ÖVP, gelingt, Österreich durch größer werdende Wirtschafts- und Sozialkrisen zu steuern, die so etwas wie die Wien Energie bald vergessen lassen könnten.