ANALYSE. Thomas Schmid will Kronzeuge werden und hat dafür schon einmal tagelang ausgesagt: Der ÖVP wird es zum Verhängnis, keinen Neustart versucht zu haben.
Am vergangenen Wochenende ist unter dem Titel „Reden wir über Politik“ ein Sebastian Kurz-Buch erschienen, das nichts Neues enthält. Zahlreiche Medien ließen es sich trotzdem nicht nehmen, (flächenmäßig) große Interviews mit ihm zu bringen, die ebenfalls nichts Neues enthielten. Sebastian Kurz findet, alles gut gemacht zu haben und nur Opfer anonymer Anschuldigungen geworden zu sein. Und überhaupt: Positive Energie will er ausschließlich in seinem Umfeld wahrgenommen haben, ganz und gar nicht aber auf parlamentarischer Ebene. Das ist bemerkenswert: Noch als Kanzler schrieb er in einem Chat an Thomas Schmid, er möge einem Kirchenvertreter „bitte Vollgas geben“. Voll positive Energie, sozusagen.
Dieser Thomas Schmid bemüht sich nun um einen Kronzeugenstatus in all den türkisen Affären, die von mutmaßlicher Inseratenkorruption bis hin zu ebensolcher Umfragemanipulation auf Kosten der Steuerzahler reicht und die bei der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) zusammengefasst sind. Es gibt rund 45 Beschuldigte, gegen die wegen des Verdachts der Untreue, der falschen Beweisaussage, des Missbrauchs der Amtsgewalt, der Bestechlichkeit, der Bestechung und der Verletzung des Amtsgeheimnisses in unterschiedlichen Beteiligungsformen ermittelt wird.
Die politische Dimension des Ganzen ist gefährlich für die ÖVP: Sie ist – als Organisation – eine der Beschuldigten. Genauer: Es ist quasi der türkise Teil, der nach wie vor zu ihr gehört, ja sie ausmacht. Umso verhängnisvoller ist es für ihren gegenwärtigen Obmann, Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP), keine größtmögliche Abnabelung vorgenommen zu haben. Klar, ab 2018 diente er vorübergehend als Generalsekretär unter Kurz. Da kann er nicht so tun, als er würde er diesen nicht kennen. Noch immer aber werken engste Vertraute von Kurz im Parlamentsklub. Ist aus dem Titel „Die Volkspartei“ nur das Wort „neue“ herausgenommen worden, die Farbe türkis jedoch geblieben. Das ist mehr als Symbolik, es ist auch ein Stück unveränderte Identität, die Kurz 2017 entwickelt hat.
Thomas Schmid hat seit Juni 15 ganztägige Vernehmungen bei der WKStA absolviert. Die Protokolle waren bisher von der Akteneinsicht ausgenommen. Ab sofort werden sie laut WKStA „zum Akt genommen, wodurch sie auch den übrigen Verfahrensbeteiligten zur Kenntnis gelangen“. Erfahrungsgemäß wird so einiges schon sehr bald öffentlich werden. Jede Silbe wird auch auf die türkise ÖVP zurückfallen.
Wäre sie schwarz oder hätte sie eine andere Farbe angenommen, würde sie sich schon ein bisschen leichter tun; genauso wäre es, wenn sie zu ihrem alten Namen zurückgekehrt oder halt einen anderen Namen angenommen hätte. Wichtiger noch wäre es freilich für sie gewesen, Nehammer hätte sich zu einem Korruptionsproblem bekannt und den Weg frei gemacht für strenge Strafbestimmungen. Da wäre glaubwürdige Abnabelung gewesen; es hätte ihn und die Partei gegenüber allem gestärkt, was nun bekannt werden könnte.
Aber „Die Volkspartei“ schafft das nicht unter Karl Nehammer: Sie weiß nicht, wie sie neu beginnen könnte und macht daher irgendwie weiter, wie es Kurz da und dort angelegt hat. Zum Beispiel in der Flüchtlingspolitik: Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) treibt die Eskalationsspirale hier ganz gezielt weiter. Er verteidigt die Zelte zur Unterbringung Geflüchteter nicht nur, sondern tut das mit Worten, die einer Pauschalverurteilung aller Geflüchteter als gefährliche Menschen gleichkommen. Zitat: „Die Bundesbetreuungsagentur hat das veranlasst, damit keine Flüchtlinge auf Ortsplätzen, vor Kindergärten oder Bahnhöfen herumlungern.“ Das vermittelt Eltern und ihren Kindern genau dies: Sie müssen sich fürchten vor diesen Leuten.
Die Strategie von Karner ist klar: Es geht nicht darum, mit großen Herausforderungen fertig zu werden, sondern darum, parteipolitisch motiviert zu agitieren – von der Teuerung und anderen Problemen abzulenken, bei denen es für die ÖVP nichts zu gewinnen gibt und die Aufmerksamkeit wieder verstärkt auf das Thema zu lenken, mit dem Kurz einst hunderttausende Stimmen gewonnen hat. Etwas Besseres fällt der Partei nicht ein, sie kommt nicht los von ihrem ehemaligen Hoffnungsträger.