ANALYSE. Auch Sebastian Kurz hat die traditionsreiche Partei mit ihren Bünden und selbstbewussten Ländern nicht unter Kontrolle. Das macht sie zu einer unberechenbaren Koalitionspartnerin.
Würde man Politik autoritär begreifen, müsste man Sebastian Kurz folgenden Rat geben: Nicht als Kanzler bräuchte er eine Richtlinienkompetenz in der Regierung, sondern als Obmann in der Volkspartei. Genau dort gibt es nämlich die größten Widerstände und Proteste, die zum Teil sogar gemeingefährlich sind.
Das ist keine Übertreibung: Als Kurz im März einen harten Lockdown verkündete, berichtete er kryptisch, dass es gar nicht so einfach gewesen sei, einen solchen durchzusetzen. An sozialdemokratischen Gewerkschaftern oder grünen Aktivisten wird es kaum gelegen sein; sie hätten einen entsprechenden Beschluss nicht einmal theoretisch verhindern können. Kurz sprach von „Entscheidungsträgern“. Eher waren es also überwiegend türkis-schwarze Länder- und wohl auch Tourismusvertreter bzw. Tiroler. Das Land hatte die Gefahr bis zuletzt heruntergespielt, der Seilbahnlobbyist, Hotelier, Wirtschaftsbund-Landesobmann und ÖVP-Nationalratsabgeordnete Franz Hörl hatte es sogar mit der Strategie versucht, Gras drüber wachsen zu lassen.
Aber das ist Geschichte. Während sich grüne Politiker fast täglich dafür ohrfeigen lassen, der ÖVP wieder ein Zugeständnis gemacht zu haben, betreiben türkise Opposition und widersetzen sich sogar der Devise, dass der winzige Koalitionspartner auch nur Spurenelemente zum „Besten aus beiden Welten“ beitragen darf.
Der von Wirtschaftskammerpräsident Harald Mahrer (ÖVP) geführte Wirtschaftsbund bekämpft etwa die türkis-grüne Erhöhung der Normverbrauchsabgabe: „Die angekündigte NoVA-Erhöhung ist ein Schock für die ohnehin krisengebeutelte Wirtschaft. Nicht nur, dass Autos teurer werden, auch die bisherige Ausnahme der NoVA für heimische Betriebe wird gestrichen. Damit kommen auf die Betriebe zusätzlich erhebliche Kosten zu“, lässt er wissen: „Mit diesen Plänen crashen die Grünen die wirtschaftliche Erholung nach der Krise.“ Wohlgemerkt: Die Türkisen haben zugestimmt.
Begrenzte Loyalität wurde zuletzt auch Sebastian Kurz persönlich zuteil: Nicht nur das rote Wien, auch die türkisen Länder Vorarlberg und Tirol durchkreuzten seine überraschende Ankündigung zu Massentests insofern, also sie beschlossen, diese noch früher als ohnehin schon vorgesehen durchzuführen. Das verschärfte ein großes Problem bei der ganzen Geschichte: Es wurde einfach drauflosgetestet, obwohl noch keine längerfristige Gesamtstrategie vorlag. Das war alles andere als vertrauensbildend und trug wohl auch ein bisschen zur geringen Beteiligung bei.
Nicht genug für Kurz, setzte ihm diese Woche einmal mehr besagter Franz Hörl zu. Die Vorgeschichte: Letzten Endes hat der Kanzler die Absage an einen baldigen Start in den Wintertourismus so argumentiert, dass es nötig sei, grenzüberschreitenden Reiseverkehr zu unterbinden; zum Schutz Österreichs, sozusagen. Hörl wetterte nun über die Medien, dass es sich um einen Kniefall vor Bayern gehandelt habe und dass man mit weiteren Beschränkungen die Seilbahnen wieder im Stich lassen.
Fast schon peinlich ist, dass Hörl nachträglich zu relativieren versucht und betont, dass er nicht Kurz gemeint habe: Dieser sei sich der Bedeutung des Tourismus bewusst. Das Problem sind laut Hörl die Grünen, die eine tiefe Abneigung gegen den Tourismus hätten. Das macht seine Aussagen eher noch schlimmer: Zusammenfassend hat Kurz demnach nicht nur seine eigenen Reihen nicht unter Kontrolle, sondern kann sich nicht einmal gegenüber seinem ohnehin so zurückhaltenden, kleinen Koalitionspartner durchsetzen.
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