ANALYSE. Die praktische Umsetzung dessen, was der ehemalige Vizekanzler und FPÖ-Chef in dem Video sagte, erfolgt in weiten Teilen tagtäglich.
Das Ibiza-Video ist spektakulär bis unerträglich. Und selbstverständlich hat Vizekanzler Heinz-Christian Strache zurücktreten müssen und hat mit ihm die FPÖ, deren Obmann er war, die Regierungsverantwortung abgeben müssen. Das ist keine Frage. Mit ein bisschen Abstand beurteilt ist das, was Strache in den veröffentlichten Ausschnitten sagte, jedoch gar nicht so überraschend. Sicher, in diesem Setting und mit der Wortwahl ist es eine Zuspitzung, wie man sie wohl kaum jemandem zugetraut hätte. In der Sache aber ist vieles davon ganz praktische Politik, die noch dazu allgemein bekannt ist.
Siehe die willkürliche Inseratenvergabe an gewisse Zeitungen.
Oder etwa nicht? Beispiel 1: Strache vermittelt, in Regierungsverantwortung üppige Aufträge einem unliebsamen Unternehmen zu entziehen und im Sinne der vermeintlichen Oligarchin zu vergeben. Das, bitte, entspricht exakt dem, was unter dem Titel „Medienpolitik auf Österreichisch“ läuft: Inserate in Höhe von bis zu 200 Millionen Euro werden vorzugsweise Zeitungen vergeben, die regierungsfreundlich sind. Kritik wird bestraft. „Falter“-Chefredakteur Armin Thurnher weist in einem aktuellen Leitartikel darauf hin, dass sein (regierungskritisches) Blatt von Ministerien gar nichts abbekommt. Und da geht es alles in allem nicht um Lappalien, sondern um Beträge, die für Zeitungen existenzsichernd sind. Umgekehrt hat etwa Ex-ÖVP-Chef Reinhold Mitterlehner in seinem Buch „Haltung“ berichtet, dass ihm ein Verleger gedroht habe: Entweder erhalte sein Blatt mehr Inserate oder er, Mitterlehner, werde durch entsprechende Berichterstattung bestraft.
Siehe Drohungen gegenüber Journalisten.
Beispiel 2: Strache bezeichnet Journalisten als Huren. Das ist extrem tief. Tief ist aber auch der Umgang, den er und seinesgleichen mit Medien pflegen. Im Sinne von „Zack, zack, zack“ bzw. „ein paar Leute werden rausgeschmissen und durch andere ersetzt“, forderte Norbert Steger, heute immerhin ORF-Stiftungsratschef, gewisse Korrespondenten zu „streichen“. Zuletzt empfahl er Armin Wolf, sich für ein „Sabbatical“ zurückzuziehen. Strache selbst hatte den ORF pauschal der Lüge bezichtigt, ehe er das wieder zurücknehmen musste. EU-Wahlspitzenkandidat Harald Vilimsky hat Wolf in der „ZiB2“ mit Konsequenzen für ein hartes Interview gedroht. Und so weiter und so fort.
Siehe graue Parteikassen.
Beispiel 3: Strache behauptete, zur FPÖ-Finanzierung gebe es einen Verein, über den Spenden laufen, damit sie nicht veröffentlicht werden müssen. Von allen Beteiligten wird dies zurückgewiesen. Überprüfen kann man es nicht. Und überhaupt: Bei der einen oder anderen Partei muss man sich schon lange wundern, wie sie sich so teure Kampagnen leisten kann. Bei der Antwort darauf ist man mehr oder weniger auf die Angaben der Parteien angewiesen. Von wegen Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser: Nicht einmal der Rechnungshof kann Auffälligkeiten auf den Grund gehen. Das ist einerseits zwar ein vernünftiger Schutz politischer Parteien gegenüber staatlichen Organen; es begünstigt andererseits aber halt auch Graubereiche, in denen zumindest theoretisch allerhand möglich ist.