ANALYSE. Rendi-Wagner könnte ausschließlich mit der ÖVP regieren. Doch die ÖVP ist ausschließlich Sebastian Kurz (bzw. ohne ihn nichts mehr).
Bundeskanzler und ÖVP-Chef Sebastian Kurz ist auf seine Art und Weise genial. Nicht einmal Wolfgang Schüssel ist eine Zeit lang ein so guter Spieler in dem Sinne gewesen, dass am Ende eigentlich nur er gewinnen kann und alle anderen verlieren müssen. Auch Sozialdemokraten bekommen das zu spüren, zunächst Christian Kern und jetzt Pamela Rendi-Wagner.
Für die beiden ist es ein Drama, das sich aus Glücklosigkeit, eigenem Unvermögen, Kurz‘ Zutun und ihrer Optionslosigkeit zusammensetzt. Siehe Christian Kern: 2016 ist er mit einem guten Lauf in die Politik gestartet. Klar wollte er gleich einmal in Neuwahlen ziehen, um gestärkt daraus hervorzugehen. Dann aber war da etwas, womit niemand rechnen konnte: Ein halbes Jahr wurde durch die Wiederholung der Bundespräsidenten-Stichwahl blockiert. Die Chance, Neuwahlen auszurufen, hat er im Anschluss daran verstreichen lassen. Sein Fehler: Er einigte sich mit Vizekanzler und ÖVP-Chef Reinhold Mitterlehner auf ein Kompromissprogramm zur Fortsetzung der leidigen Zusammenarbeit, die jedoch von entscheidenden Leuten in Mitterlehners Reihen abgelehnt wurde; darunter Wolfgang Sobotka und Sebastian Kurz. Das Ergebnis: Auch von daher Streit und Stillstand, der Rücktritt von Mitterlehner und der Auftritt von Kurz mit der Botschaft, dass es so nicht weitergehen könne, Neuwahlen und eine schwarz-blaue Koalition, die nicht zuletzt vom immer wiederkehrenden Ausruf „Nicht streiten!“ und „Bewegung!“ lebte.
Von der Papierform her könnte Rendi-Wagner eigentlich nur gewinnen.
Jetzt steht Pamela Rendi-Wagner da und es gibt schon wieder Neuwahlen: Von der Papierform her könnte sie eigentlich nur gewinnen. Kurz‘ hat einmal mehr eine Koalition aufgekündigt. Allein: Noch mehr als 2007 kann er das so vermitteln, dass ausschließlich der Partner schuld ist. Das „Ibiza-Video“ sagt zu viel.
Und natürlich könnte Rendi-Wagner einen Misstrauensantrag gegen Kurz einbringen. Allein: Wenn schon der Bundespräsident darum bittet, davon abzusehen? Alexander Van der Bellen ist zum unfreiwilligen Helfer von Kurz geworden. Auch wenn dieser die Appelle, Parteipolitik hintanzustellen, ignoriert, der SPÖ einmal mehr Stillstand vorwirft und das Code-Wort „Silberstein“ um die Ohren knallt. Van der Bellen kann Kurz nicht gut entlassen, wenn er eh schon Neuwahlen ausgerufen hat und dieser ein Übergangskabinett aufgestellt hat, gegen das nicht einmal Sozialdemokraten etwas haben können.
Doch zurück zur SPÖ: Pamela Rendi-Wagners einzige Chance bestünde in einem Plan, der sie zur treibenden Kraft in der österreichischen Politik macht. Ein solcher wird jedoch durch ihre Aussichtslosigkeit vereitelt: Im Gegensatz zu Kurz, der sich den Partner für eine Mehrheit nach einer Wahl aussuchen kann, weil er ja niemanden (auch die FPÖ nicht) definitiv ausschließt, bleibt ihr nur die Große Koalition. Also eine Zusammenarbeit mit der ÖVP. Doch die ÖVP ist mehr denn je ausschließlich Sebastian Kurz.
Gut, eine Minderheitsregierung wäre noch möglich. In Österreich gilt das aber als Staatsuntergang.
Klar, Kurz könnte nach einer Wahlniederlage zurücktreten. Abgesehen davon, dass das im Moment niemand erwartet, es also ein Szenario ist, das nicht vermittelbar ist, ist eine ÖVP ohne Kurz auf Bundesebene aber nichts mehr: Sie besteht heute (fast) ausschließlich aus Leuten, die ihm bedingungslos ergeben sind und an Eigenständigkeit ganz offensichtlich nicht einmal denken. Da ist im Grunde genommen viel weniger Partei als bei der FPÖ ohne Heinz-Christian Strache.
Gut, eine Minderheitsregierung wäre noch möglich. Theoretisch. In Österreich grenzt eine solche jedoch an Staatsuntergang; im Übrigen würde sie erst recht voraussetzen, dass die Mehrheit der Akteure eingefleischte Parlamentarier sind. Doch das ist eine andere Geschichte.