ANALYSE. Was Niessl und Ludwig möglicherweise nicht wahrhaben wollen: Mit der neuen Wählerschaft ist eine Kursänderung kaum möglich.
SPÖ-Chef Christian Kern ist nicht unbedingt das, was man sich unter einem Arbeiterführer vorstellt. Und zumindest in den letzten Wochen hat er nicht nur rechtspopulistische Botschaften vermieden, sondern sich auch ziemlich klar davon distanziert. Das Ergebnis ist eine Wählerschaft, die kaum noch wiederzuerkennen ist. Und die auch eine Botschaft für den burgenländischen Landeshauptmann Hans Niessl und den Wiener Bürgermeisterkandidaten Michael Ludwig enthält: Entweder sie nehmen das zur Kenntnis; oder sie müssen zu einer Neugründung der Partei schreiten.
Man kann sich die ganze Geschichte auch frei nach den Gesetzen der Marktwirtschaft vorstellen: Kern hat im Wahlkampf spät, aber doch erkannt, dass „Flüchtlinge“ nicht nur das bestimmende Thema ist, sondern auch, dass ÖVP und FPÖ dabei ein sehr großes Wählersegment so wirkungsvoll ansprechen, dass er mit seiner Partei ausschließlich dann den Funken eine Chance hat, wenn er sich dagegenstellt. Auch die Nachfrage nach einer Alternative dazu will schließlich abgedeckt werden; und auch wenn insgesamt nicht die absolute Mehrheit der Wähler dahintersteht, dann zumindest ein größerer Teil.
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Platz eins hat Kern damit zwar nicht zusammengebracht. Immerhin aber hat die SPÖ ihren Stimmenanteil (26,9 Prozent) halten können. Wobei ein Blick in die Ergebnisse der SORA-Wahltagsbefragungen zu den Nationalratswahlen 2013 und 2017 zeigt, dass dieser „Gleichstand“ über eines nicht hinwegtäuschen darf: Mit dem inhaltlichen Angebot hat sich auch die Wählerschaft gewandelt. Und zwar ziemlich radikal.
Drei Beispiele: 2013 hat die SPÖ noch jeden vierten Arbeiter angesprochen, jetzt nur noch jeden fünften. Bei den Selbstständigen kam sie vor vier Jahren noch auf jeden zwanzigsten, jetzt auf immerhin jeden siebenten. Und ganz extrem: Aus der einstigen Arbeiter- ist eine Akademikerpartei geworden; bei den Uniabsolventen konnte sie ihren Stimmenanteil von neun auf 31 Prozent vervielfachen.
Die SPÖ hat im Übrigen ganz offensichtlich auch Unzufriedene verloren und Zufriedene gewonnen: Jeder Vierte, der der Ansicht ist, dass sich Österreich seit der letzten Nationalratswahl negativ entwickelt hat, wählte 2013 rot; diesmal tat es nicht einmal mehr jeder Zehnte dieser Gruppe (neun Prozent). Umgekehrt ist der Anteil derer, die eine positive Entwicklung sehen, von 43 auf 56 Prozent gestiegen.
Man kann jetzt zum Kurs von Christian Kern stehen, wie man will. Wenn man ihn, wie die „Kronenzeitung“ und „Österreich“, ablehnt oder, wie der burgenländische Landeshauptmann Hans Niessl und der Wiener Bürgermeisterkandidat Michael Ludwig, die eine Annäherung zu den Freiheitlichen propagieren, kritisch sieht, sollte man eines jedoch nicht übersehen: Mit dieser Wählerschaft ist eine solche Kursänderung nicht zu machen. Da gibt es im Grunde nur ein Festhalten an Kern. Oder eine Trennung von dieser Wählerschaft bzw. eine komplette Neuaufstellung der Bundespartei.
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