ANALYSE. Zum 1. Mai: Sebastian Kurz macht den starken Staat und der Sozialdemokratie fällt nichts dazu ein. Also sind die Umfragewerte so, wie sie sind.
Vielleicht ist es sogar ein Glück für die Sozialdemokratie, dass sie den 1. Mai heuer nur virtuell begehen kann. Es ist jedenfalls schwer vorstellbar, dass auf dem Wiener Rathausplatz Stimmung aufkommen würde. Klar, zu feiern gibt es in Zeiten wie diesen nichts: 600.000 Arbeitslose, 1,1 Millionen in Kurzarbeit etc. Stimmung könnte sich andererseits aber auch dadurch ergeben: Es existiert eine charismatische Parteiführung, die Hoffnung macht; oder ein Kanzler, gegen den man ein Zeichen des Protests setzen muss; oder einfach nur die Notwendigkeit, sich selbst (und der Arbeiterschaft) Mut zu machen.
Nichts davon ist jedoch vorhanden: Parteichefin Pamela Rendi-Wagner hat als Ärztin zu Beginn der Gesundheitskrise immer wieder Profil gezeigt. Sie gab sachliche Empfehlungen, war dabei jedoch nicht besonders politisch. Sprich: Sie und ihre Partei hatten unterm Strich nichts davon. Im Nationalrat zitierte sie diese Woche die deutsche Kanzlerin Angela Merkel, wonach der gegenwärtige Zustand eine demokratische Zumutung ist und Kritik nicht nur geduldet, sondern gefördert werden muss; im Übrigen betonte sie den Wert des starken Staates, „der in der Krise den Menschen Schutz und Sicherheit gibt – gesundheitlich, sozial und wirtschaftlich“.
Das war bezeichnend: Die Pflichtübung zur Demokratie kam nicht von ihr. Und der starke Staat wird derzeit nicht von ihr, sondern von Sebastian Kurz in einer Art und Weise gepflegt, dass er einer absoluten Mehrheit immer näher kommt (siehe Grafik). Ja, der 33-Jährige lässt die Sozialdemokratie überhaupt verzweifeln: Ihm beizukommen ist schwer bis unmöglich. Irgendwie schafft er es, jede Kurve mir nichts, dir nichts zu kratzen.
Vor gar nicht allzu lange Zeit wollte er im System, bei den Förderungen und in vielen anderen Bereichen sparen. Nur bei den Pensionisten hat er noch nie ansetzen wollen; das sind zu viele Wähler. Wie auch immer: Heute vermittelt Kurz sehr vielen Österreicherinnen und Österreichern den Eindruck, dass er alles unter Kontrolle hat und sie sich keine Sorgen machen müssen; dass er im Keller eine Geldruckmaschine hat, die es ihm ermöglicht, alles zu bezahlen. Schulden spielen keine Rolle. Verstaatlichungen sind nicht ausgeschlossen, Steuersenkungen gerade für Kleine selbstverständlich. Ja, sogar die Notstandshilfe, die er in der vergangenen Legislaturperiode noch abschaffen wollte, wird rückwirkend mit März erhöht. Schon von daher bleibt für politische Mitbewerber wenig bis gar nichts übrig.
Sebastian Kurz gibt den starken Mann – und verunsicherte, obrigkeitshörige Leute sind gerade jetzt froh, dass sie ihn haben. Perspektiven? Schwer zu sagen. Absehbar ist, dass noch harte Zeiten kommen werden, die Konjunktur nicht so schnell anspringen und die Arbeitslosigkeit daher hoch bleiben könnte.
Theoretisch ist das eine Chance für die Sozialdemokratie. Kurz hat sich bisher aber noch nach allen Stimmungen wenden können. Vor allem in Krisenzeiten schafft er es, runde Geschichten wirkungsvoll vorzutragen; ziemlich frei von programmatischen Ansätzen mag ihm das noch dazu leichter fallen. Eine gewisse Hemmungslosigkeit kann man ihm bei alledem ankreiden. Es wird ihn jedoch nicht stören, so lange seine Wahlergebnisse und Umfragewerte zum Leidweisen einer sprach- wie hilflosen Sozialdemokratie so sind, wie sind.
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