ANALYSE. Mit dem „Neutralitätsgebot“ enthält das Regierungsprogramm einen Begriff, den SPÖ und ÖVP zu unterschiedlich auslegen. Vor allem für die Sozialdemokratie ist das gefährlich.
„Der Staat ist verpflichtet, weltanschaulich und religiös neutral aufzutreten“, heißt es im Regierungsprogramm. Vor allem bei der Exekutive sowie bei Richtern und Staatsanwälten solle auf dieses Neutralitätsgebot geachtet werden. Das ist zum einen so allgemein formuliert und wird zum anderen von SPÖ und ÖVP so unterschiedlich interpretiert, dass das insbesondere für die Sozialdemokraten gefährlich werden kann.
Grundsätzlich würde „Neutralität“ gegenüber Religionen und Weltanschauungen ja bedeuten, dass allen gleich viel erlaubt und verboten wird; und dass niemand bevorzugt wird. Womit wir beim Kruzifix angelangt wären, das in Österreich auch in jedem Klassenzimmer hängt: Als religiöses Symbol widerspricht es dem Neutralitätsgebot naturgemäß.
Was für die ÖVP ein lösbares Problem darstellt: Sie macht aus dem religiösen Symbol kurzerhand ein – quasi: universelles – „Friedenssymbol“ (Innenminister Wolfgang Sobotka). So einfach geht das. Oder etwa nicht? SPÖ-Staatssekretärin Muna Duzdar weigert sich nachvollziehbarerweise, das zu akzeptieren. Doch damit wird es verhängnisvoll für sie.
„Duzdar beginnt Krieg gegen Kreuz in Klassenzimmern“ (Kronen Zeitung)
Allein schon der Hinweis, dass sie solche Fragen „mit allen Religionsgemeinschaften“ diskutieren werde, brachte ihr eine Krone-Schlagzeile sein, die ihr, aber auch ihren Parteifreunden eine Warnung sein muss: „Duzdar beginnt Krieg gegen Kreuz in Klassenzimmern“. Wobei klargestellt wird, wer auf der anderen Seite schon dafür sorgen wird, dass das christliche Abendland verteidigt wird: Integrationsminister Sebastian Kurz (ÖVP).
Muna Duzdar hat unter diesen Umständen nur eine Möglichkeit: Will sie keinen politischen Selbstmord begehen, muss sie klein beigeben. Zu deutlich, ja aggressiv wäre die Stimmungslage gegen sie. Das Problem für die SPÖ ist jedoch, dass das Thema damit ganz sicher nicht erledigt wäre.
Die SPÖ droht bei alledem vielmehr in eine Gasse gelockt zu werden, die nur Kurz und Sobotka nützen kann.
Das gesamte Integrationskapitel des neuen Regierungsprogramms enthält mögliche Koalitionsbruchstellen; und zwar im Sinne der ÖVP: Wenn nicht einmal Übereinstimmung darüber herrscht, welche Bedeutung das Kruzifix hat, wie soll eine solche z.B. bei der „Festschreibung der Bedeutung der grundlegenden Werte der Rechts- und Gesellschaftsordnung“ möglich sein? Das ist undenkbar.
Die SPÖ droht bei alledem vielmehr in eine Gasse gelockt zu werden, die nur Kurz und Innenminister Sobotka nützen kann: Sie verstehen Integration nicht so sehr als wechselseitigen Prozess, sondern vor allem als Verpflichtung des Fremden, der im Falle der Verweigerung denn auch hart bestraft gehört. Und mit diesem Zugang sind die beiden in der Alpenrepublik nicht allein. Im Gegenteil. Daher können sie bei jeder Problemstellung, die sie in diesem Bereich auftun wollen, den Koalitionspartner mit Links zu Zugeständnissen zwingen.