ANALYSE. Sozialversicherungen: ÖVP verschafft Arbeitgebern mehr Einfluss, FPÖ darf gegen ein „Establishment“ vorgehen.
Im österreichischen Sozialversicherungswesen im Allgemeinen und im Gesundheitssystem im Besondern gibt es sehr viel Reformbedarf. Siehe Rechnungshof-Darstellung. Was aber eine Zusammenlegung von Krankenkassen allein unter gleichzeitiger Wahrung der Selbstverwaltung und regionaler Spielräume bringen soll, ist schleierhaft. Rein sachlich gesehen.
Doch darum geht es Vizekanzler FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache „vor allem“ gar nicht. „Wir setzen mit der Zusammenlegung der Sozialversicherungsträger ein weiteres zentrales freiheitliches Wahlversprechen um. Vor allem die Anzahl der teuren Funktionäre wird deutlich reduziert“, ließ er seine Fangemeinde am Pfingstmontag auf Facebook wissen. Das ist eine bemerkenswert offene Formulierung: Strache hat in der Vergangenheit gegen „das System“ mobilisiert, das durch „das Establishment“ verkörpert wird. Beziehungsweise durch „Funktionäre“: Das sind Schimpfwörter. Damit gemeint sind Leute, die es sich richten, die ausschließlich auf ihren persönlichen Vorteil bedacht sind.
Weder auf Arbeitgeber- noch auf Arbeitnehmerseite hat die FPÖ etwas zu verlieren. Im Gegenteil.
Die Sozialversicherungen bieten der FPÖ eine hervorragende Gelegenheit, zu beweisen, dass sie es ernst meinen: Weder auf der Arbeitgeber- noch auf der Arbeitnehmerseite sind sie besonders stark vertreten. Sie haben also nichts zu verlieren. Im Gegenteil.
In seinem Facebook-Eintrag erklärte Strache im Übrigen, dass das „dadurch ersparte“ Geld direkt den Patienten und Versicherten zugutekommen werde. Das ist Augenauswischerei, die unterstreicht, wie wenig es um die Sache geht: Will man im Sozialversicherungswesen wirklich Geld bewegen, kann man sich nicht auf die Verwaltung beschränken; dann muss man im Gesundheitswesen vielmehr auch beim Kompetenzwirrwarr zwischen den Gebietskörperschaften ansetzen und beim Pensionswesen selbstverständlich bei den Leistungen; dort liegen die großen Summen mit noch dazu stark steigender Tendenz. Doch das ist eben nebensächlich.
Und da wird es Kurz sogar nur recht sein, wenn sich Gewerkschafter erheben, um zu protestieren.
Für die ÖVP von Sebastian Kurz ist die Sozialversicherungsreform eine Gelegenheit, den Einfluss der (eher) roten Arbeitnehmerseite zurückzudrängen und der (eher) schwarzen Arbeitgeberseite zu stärken. Was freilich etwas ist, was die Partei in dieser Wortwahl kaum zum Ausdruck bringen kann. Im Vordergrund steht daher etwas ganz anderes: Kurz ist angetreten, Österreich zu verändern.
Wie genau diese Veränderung ausschauen soll, ist offen. Wesentlich ist denn auch Veränderung an sich. Und eine solche lässt sich wohl kaum irgendwo besser darstellen als hier: Es geht um Sozialversicherungen, bei denen niemand bestreiten wird, dass es Handlungsbedarf gibt. Und da wird es Kurz sogar nur recht sein, wenn sich Gewerkschafter erheben, um zu protestieren: Widerstand unterstreicht nur, dass er wirklich etwas verändern will; und das könnte auf einem Niveau, bei dem Reforminhalte kein Thema sind, nur dazu führen, dass Gewerkschafter als Reformverweigerer dastehen.