ANALYSE. Auch die Sozialversicherungsreform soll ins Sommerloch fallen. Dahinter steckt Diskursverweigerung. Beim Standortgesetz könnte sich das rächen.
Nein, das ist kein Zufall: Das umstrittene Standortentwicklungsgesetz wurde zum Auftakt der parlamentarischen Sommerpause zur Begutachtung aufgelegt; und zwar bis Mitte August. Das ist laut Plan ganz offensichtlich kein Einzelfall: Zur Kürzung der Mindestsicherung kündigt ÖVP-Klubobmann August Wöginger in einem „Standard“-Interview an: „Im Sommer kommt das Gesetz in parlamentarische Begutachtung.“ Und zur Zusammenlegung der Sozialversicherungen erklärt Sozialministerin Beate Hartinger-Klein (FPÖ) in einer Anfragebeantwortung: „Bis Juli soll dazu ein Begutachtungsentwurf vorliegen.“ Details will oder kann sie vorab nicht nennen.
Dahinter steckt ganz offensichtlich Strategie: Wöginger und seine Abgeordnetenkollegen sind gerade ebenso in eine Sommerpause abgetaucht wie Regierungsmitglieder. In den nächsten Wochen wird es allenfalls Sondersitzungen geben, jedenfalls aber nur eingeschränkten Polit-Betrieb. Soll heißen: Eine ernsthafte Auseinandersetzung mit sehr heiklen Regierungsvorhaben wird gezielt erschwert bis verunmöglicht. Wie schon bei der Arbeitszeitflexibilisierung: Ohne Begutachtung und mit zuletzt auch noch beschleunigtem Inkrafttreten ist sie Anfang Juli beschlossen worden. Präsentiert unmittelbar nach Abschluss des ÖGB-Kongresses.
Nicht dass ÖVP und FPÖ dazu da sind, gewerkschaftlichen und anderen Widerstand zu fördern. Aber …
Nicht dass ÖVP und FPÖ dazu da sind, gewerkschaftlichen und anderen Widerstand zu fördern. Aus zumindest zwei Gründen würde ihnen aber etwas mehr Zurückhaltung gut anstehen: Die parlamentarische Mehrheit, über die sie verfügen, kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass sie halt auch nur ein Drittel der in Österreich lebenden Personen repräsentieren; und natürlich eher nur IV- und Wirtschaftskammerinteressen. Nehmen sie gar keine Rücksicht auf andere Lobbys oder die übrigen zwei Drittel der Gesellschaft, welcher Staatsbürgerschaft und welchen Alters diese Menschen auch immer sind, provozieren sie Konflikte.
Zweitens: Gerade beim Standortentwicklungsgesetz sieht man sehr gut, wie wichtig hier fachkundiges Feedback wäre, damit verfassungs- und europarechtliche Spielregeln nicht über Bord geworfen werden, wie dies nicht nur von Umweltaktivisten, sondern auch von Experten befürchtet wird. Im Hochsommer ist aber halt auch das mit dem Feedback nicht ganz so einfach, weil irgendwann auch die berufenen Damen und Herren urlauben.
Immerhin aber könnte dies der Regierung gerade in diesem Fall zur Lehre werden: Drückt sie das Gesetz unbeirrt durch, ist nicht nur eine Anfechtung gewiss. „Ich würde so weit gehen und sagen, dass das Gesetz gar keine Anwendung finden kann. Die Behörden sind ja verpflichtet, dem EU-Recht zum Durchbruch zu verhelfen“, sagt der Verfassungsjurist Peter Bußjäger in den Vorarlberger Nachrichten: „Dieses Gesetz stellt den Rechtsstaat in Frage.“
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