ANALYSE. In Vorarlberg wird Landeshauptmann Wallner (ÖVP) wortbrüchig und zieht mit dem Koalitionspartner FPÖ Sanktionsmöglichkeiten gegen Asylwerber durch. Trotz rechtlicher Bedenken.
Man kann auch von alemannischer Symbolpolitik sprechen: Im Mai des vergangenen Jahres, also wenige Monate vor der Vorarlberger Landtagswahl, kündigte der dortige Landeshauptmann Markus Wallner (ÖVP) einen „Vorarlberg Kodex“ an. Gemeinsam mit den Grünen kam es dann sogar zu einem Beschluss.
Seit 1. Juni 2024 gibt es daher eine Vereinbarung mit Asylwerberinnen und Asylwerbern im äußersten Westen: Diese sollen sich per Unterschrift zur Teilnahme an Deutschkursen sowie gemeinnützigen Tätigkeiten verpflichten. Wobei die Pflicht auf Druck der Grünen in Wirklichkeit keine geworden ist: Es geht um eine Bereitschaftserklärung, Sanktionen gibt es nämlich keine.
Markus Wallner stand bei der Einführung vor etwas mehr als einem Jahr dazu. Zitat: „Wir gehen stufenweise vor. Wenn es in einer Vielzahl von Fällen zu einer Verweigerung kommt oder sich Asylwerber nicht an den Kodex halten, werden wir eine zweite Stufe einleiten“, sagte er. Zweite Stufe stand für Sanktionen.
In den vergangenen Monaten hat es keine „Vielzahl von Fällen einer Verweigerung“ gegeben oder dass „sich Asylwerber nicht an den Kodex“ gehalten haben – und trotzdem hat die von Wallner geführte schwarz-blaue Koalition jetzt mit Sanktionen ernst gemacht. Das Taschengeld soll auf 20 Euro halbiert werden können.
Das Bemerkenswerte ist hier nicht nur der Wortbruch, sondern auch die Tatsache, dass rechtliche Bedenken ignoriert worden sind. Was an türkis-blaue Symbolpolitik der Marke Sebastian Kurz 2018/19 erinnert: Reale Umstände und rechtliche Bedenken sind da in einer Vielzahl von Fällen nicht einmal ignoriert worden. Mit dem bekannten Ergebnis.
Was die Arbeitspflicht bzw. die Sanktionsmöglichkeiten in Vorarlberg betrifft, sieht der Verfassungsdienst im Bundeskanzleramt einen möglichen Verstoß gegen das Zwangsarbeitsverbot der Europäischen Menschenrechtskonvention (Artikel 4 EMRK): Es stelle sich die Frage, „ob nach dem Verständnis von Art. 4 Abs. 2 EMRK noch davon gesprochen werden kann, dass der hilfs- und schutzbedürftige Fremde die Tätigkeit freiwillig ausübt“.
Klar ist die Sache nicht. Ob Verpflichtung oder Freiwilligkeit, hängt unter anderem mit der Sanktion zusammen. Beziehungsweise der Frage, was bleibt, wenn sie verhängt wird. Laut EU-Aufnahmerichtlinie muss Asylwerbern ein würdiger Lebensstandard ermöglicht werden. Bei einer Kürzung des Taschengeldes auf 20 Euro könnte man sagen, dass das nie und nimmer gegeben sei. Die Richtlinie lässt jedoch offen, wie der Standard ermöglicht werden muss, ob durch Geld- oder Sachleistungen.
Eine derartige Auseinandersetzung hat Wallner und Co. jedoch nicht interessiert. Die Gesetzesänderung ist ohne Ausschussberatungen durchgedrückt worden. Oppositionsvertreter im Landtag klagen außerdem, dass ihnen die Vorlage erst wenige Stunden vor Beschlussfassung übermittelt worden sei. Speed kills.