ANALYSE. Doskozil lässt eine Umfrage veröffentlichen, wonach die SPÖ bei einer Nationalratswahl unter seiner Führung erfolgreicher wäre als mit Rendi-Wagner: Er wird ihr gefährlich, sie aber nicht selbst ablösen.
Vor fünfeinhalb Jahren, im Frühjahr 2017 also, sind in (gefühlt) allen Medien Berichte erschienen, wonach die Reinhold-Mitterlehner-ÖVP nicht nur schlecht, sondern katastrophal liege, die Partei mit Sebastian Kurz aber das Kanzleramt erobern könnte. Heute weiß man, dass dieser Information nicht nur zum Teil zweifelhafte Umfragen zugrunde lagen, sondern sie zum Projekt Ballhausplatz gehörten. Sie sollten eine Sehnsucht nach Kurz befeuern – was sie denn auch taten.
Ein solches Projekt Ballhausplatz verfolgt auch der burgenländische Landeshauptmann Hans Peter Doskozil (SPÖ), wie man meinen könnte. Sonntagabend ließ er zwei Ergebnisse einer Umfrage veröffentlichen, die der renommierte Meinungsforscher Peter Hajek im Auftrag der Landesparteiorganisation durchgeführt hat. Ergebnis A: Mit Pamela Rendi-Wagner an der Spitze würde die Sozialdemokratie bei einer Nationalratswahl mit 27 Prozent nur knapp vor der FPÖ (25 Prozent) Platz eins zusammenbringen. Ergebnis B: Mit Doskozil würde sie triumphieren, 32 Prozent erreichen und die FPÖ (21 Prozent) weit hinter sich lassen (die ÖVP müsste sich mit 20 Prozent begnügen).
Was will der Burgenländer damit sagen? Natürlich: Unter seiner Führung würde es eine große Zukunft für die Sozialdemokratie geben. Zunächst sollte das aber eher als Ausrufezeichen verstanden werden, dass er noch immer da ist.
In der „Kronen Zeitung“ erschien am Wochenende ein doppelseitiges Interview, das zu drei Vierteln daraus bestand: Nach einem längeren krankheitsbedingten Ausfall bzw. einer fünften Operation am Kehlkopf war es Doskozil wichtig, zu vermitteln, dass er hart im Nehmen ist und auch eine sechste, siebente oder achte Operation schaffen würde. Dass er im Alltag keine Beeinträchtigungen erfahre (nur bei Zeltfesten sei es schwierig, sich Gehör zu verschaffen, „das sage ich ganz ehrlich“). Und dass Rücktrittsgerüchte „Blödsinn“ seien.
Ja, es tut Hans Peter Doskozil weh, wenn es heißt, „aber die Bundespolitik ist keine Option mehr für ihn“: Natürlich bestreitet er, dass ihm das weh tue, aber er begründet das damit, dass niemand wisse, „wer bundespolitisch für die Sozialdemokratie vielleicht in Zukunft auf den Plan tritt“.
Das ist mehr als eine Spitze gegen Pamela Rendi-Wagner, die sich mit Unterstützung mehrerer Ex-Kanzler aus den Reihen der Partei im Frühjahr zur Kanzlerkandidatin erklärt hat. Und Doskozil legt in dem Krone-Interview nach. Es überrascht ihn nicht, dass in einer Erhebung die SPÖ schon hinter die FPÖ zurückgefallen ist. Ohne Rendi-Wagner beim Namen zu nennen zitiert er ihre Aussage, wonach es keine Asylkrise gebe. Das sei empirisch falsch. Schlusssatz: „Wenn die SPÖ das Asylthema jetzt nicht aufgreift, dann wird sie viel an Glaubwürdigkeit und Vertrauen einbüßen.“
Was als Empfehlung verstanden werden kann, ihn ans Ruder zu lassen und was dann eben durch die am Sonntagabend veröffentlichte Umfrage verstärkt wurde, kann genauso gut so gesehen werden: Es soll parteiintern etwas in Bewegung kommen; gegen Rendi-Wagner.
Zu einer Nationalratswahl wird es möglicherweise erst im Herbst 2024 kommen. Im Unterschied zu Kurz 2017 kann Doskozil 2022 keine Neuwahl herbeiführen. Also wird er sich auch kaum jetzt ernsthaft in Stellung bringen für eine Übernahme der Partei. Wenn, dann würde er es wenige Monate vor einem Urnengang tun.
Relevant erscheinen eher diese Hintergründe: Doskozil spricht sich seit geraumer Zeit so offen wie kaum ein anderer führender Sozialdemokrat für eine Ampelkoalition aus. Rendi-Wagner ist zurückhaltend. Asyl und Migration ist natürlich ein Thema (neben vielen anderen); also müsste die Partei eine Position definieren, die überzeugend sein könnte, die sie in dieser Frage als bessere Option erscheinen lässt. Das ist sie jedoch nach wie vor säumig.
Sie hat sich zuletzt auf wichtige Sozialthemen gesetzt, aber nach jahrzehntelanger schwarz-türkiser Regierungsbeteiligung bzw. mehrjähriger -führung gehütet, sich um eine Wendestimmung zu bemühen: Sie meinte offenbar, nur vorne sein zu können, wenn die ÖVP abstürzt. Genau das jedoch wird immer ungewisser, weil die FPÖ zulegt.
Insofern ist diese Umfrage mit Doskozil an der Spitze wirkungsvoll: In der SPÖ wird kaum jemand sagen können, dass es optimal läuft, geschweige denn, wohin die Reise geht. Ampelkoalition? Genauso gut ist auch eine „Große Koalition“ möglich. Oder ein Verbleib in der Opposition, wenn FPÖ und ÖVP zusammen zu einer Mehrheit gelangen. Das muss Rendi-Wagner ein Hinweis sein, klare Ansagen und Perspektiven zu erarbeiten. Damit es früher oder später nicht ein anderer oder eine andere an ihrer Stelle tut. Es wird kaum Doskozil selbst sein: Sein Vorgehen ist etwa auch dazu angetan, Anhänger einer Koalition mit Neos und Grünen zu mobilisieren, hör- wie sichtbar zu werden und ihr Projekt offen anzugehen.