Politische Beamtenerziehung

ANALYSE. Was der Bundeskanzler im Falle einer Abschiebung „unfassbar“ findet, ist wirklich unfassbar. Zur Bewertung sollte jedoch nicht nur eine rechtliche Dimension beachtet werden. Es gibt eine zunehmend schwerwiegendere.

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ANALYSE. Was der Bundeskanzler im Falle einer Abschiebung „unfassbar“ findet, ist wirklich unfassbar. Zur Bewertung sollte jedoch nicht nur eine rechtliche Dimension beachtet werden. Es gibt eine zunehmend schwerwiegendere.

Warum die Vorarlberger Mitarbeiter des Bundesamtes für Asyl- und Fremdenwesen bei der Abschiebung einer armenisch-iranischen Familie eine schwangere Mutter von Vater und dreijährigem Kind getrennt haben, ist nicht zu erklären. Von ihnen selbst gibt es keine Aussage dazu. Bundeskanzler Sebastian Kurz hat vor Ort wissen lassen, dass das „unfassbar“ sei; und dass das allein in ihrer Verantwortung liege. Kleine Beamte, große Schuld?

Oberste Leitlinie ihres Handelns hätte nicht zuletzt wirklich die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) sein müssen. Artikel 8, wonach „jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens“ hat, hätte ihnen sagen müssen, dass sie so nicht hätten vorgehen dürfen. Und damit basta.

Ist es politisch überhaupt erwünscht, solche Rechte konsequent zu beachten? 

Andererseits: Ist es politisch überhaupt erwünscht, solche Rechte konsequent zu beachten? Gerade im Umgang mit abgewiesenen Asylwerbern? Zumindest zweifeln darf man daran. Wobei man jetzt nicht so tun sollte, dass entsprechende Flexibilität nicht schon früher opportun gewesen ist. Der Druck ist jedoch größer geworden.

Schon bei ihren Reformvorhaben machen ÖVP und FPÖ deutlich, dass sie Vorbehalte nicht dulden; und mögen sie noch so gut begründet bzw. pflichtbewusst im Sinne der Beamtenschaft erstellt worden sein: Wie „Der Standard“ dokumentierte, sind heuer schon zwei Mal kritische Stellungnahmen zu Begutachtungsentwürfen von der Parlamentswebsite verschwunden; sie mussten zurückgezogen werden. Einmal hatten die Experten des Finanzministeriums davor gewarnt, dass die Verankerung des Staatszieles „Wirtschaft“ in der Verfassung zu Problemen führen könnte. Ähnliches trug sich zur Indexierung der Familienbeihilfe zu – die Einschätzung des Völkerrechtsbüros des Außenamtes, wonach das europarechtswidrig sein könnte, durfte nicht sein, sie musste ebenfalls verschwinden.

Möglicherweise tragen solche Sitten dazu bei, dass Beamte lieber schweigen. 

Möglicherweise tragen solche Sitten dazu bei, dass Beamte lieber schweigen. Zum Begutachtungsverbot betreffend Kopftuchverbot in Kindergärten gab es zum Beispiel keine Stellungnahme des Verfassungsdienstes, der einst im Kanzleramt angesiedelt war und der mittlerweile dem Justizministerium zugeordnet ist. Dieses „Schweigen“ ist insofern bemerkenswert, als Stellungnahmen von zahlreichen Nicht-Regierungseinrichtungen zu entnehmen ist, dass diese Maßnahme in einem Spannungsverhältnis zu Grundrechten steht. Doch das darf von politischer Seite her wohl nicht sein, weil das Kopftuchverbot politisch sein muss. Und damit basta.

Die Beamtenschaft steht auch über eine andere Schiene unter Druck: In jedem Ressort ist ihnen längst ein sehr politischer Generalsekretär mit Weisungsrecht übergeordnet, der ein Vertrauter des jeweiligen Ministers ist. Ja, auch Peter Goldgruber (Innenministerium) ist ein solcher. Im Zuge der BVT-Affäre hat er der Erinnerung einer Staatsanwältin nach selbst gesagt, beim Verfassungsschutz „aufräumen“ zu müssen. Und die Leiterin des Extremismusreferats will, weil politisch nicht passend, gar aus dem Amt bzw. in Pension gedrängt worden sein.

All das ist schwer oder gar nicht zu beweisen. Bemerkenswert ist jedoch, dass Goldgruber im U-Ausschuss durch Erinnerungslücken glänzte – und entscheidend ist, dass die Causa, Hausdurchsuchungen inklusive, eine Botschaft an die gesamte Beamtenschaft ist, die ihr Selbstbewusstsein, im Ernstfall zu tun, was sie auf Basis von Grundrechten und Gesetzen tun müsste, nicht gerade stärkt, sondern vielmehr schwächt.

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