ANALYSE. Auch ein fragwürdiger Fernsehbeitrag ist kein Freibrief, sich den öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu richten. Im Gegenteil.
„Die derbe ORF-Manipulation gegen Abwerzger ist schier unfassbar!“, schäumt FPÖ-Generalsekretär Harald Vilimsky. Nachsatz: „Noch erschreckender“ sei , dass von Generaldirektor Alexander Wrabetz bis ZIB2-Moderator Armon Wolf „alle betreten schweigen und keinerlei Konsequenzen gezogen werden. Irre!“
Der Vorfall passt dem Freiheitlichen ganz gut ins Konzept und ist eine mittlere Katastrophe für den ORF: Vilimsky und Co. laufen seit Wochen gegen den Sender an. Jüngster Höhepunkt: Verkehrsminister Norbert Hofer ist empört darüber, in einem ZIB-Beitrag nicht erwähnt worden zu sein und fordert die Abschaffung der „Zwangsgebühren“, Vizekanzler und Bundesparteiobmann Heinz-Christian Strache springt ihm sogleich zur Seite; das sei nach wie vor ein Anliegen der FPÖ.
Am heftigsten bei alldem ist freilich, dass die Freiheitlichen die Ablöse ganz bestimmter (Chef-)Redakteure fordern: Namentlich allen voran die von Fritz Dittlbacher; und jetzt muss ihm laut Vilimsky offenbar noch jemand folgen. Das muss man sich einmal vorstellen: Eine Regierungspartei erdreistet sich ernsthaft, zu sagen, dieser und jener Journalist muss weg. Und zack!
ORF Tirol hat nun einen Beitrag gebracht, der wirklich indiskutabel und überhaupt fragwürdig ist.
Das ist das eine. Das andere: ORF Tirol hat nun einen Beitrag gebracht hat, der in dieser Form wirklich indiskutabel und überhaupt fragwürdig ist: Landesparteichef Markus Abwerzger wird auf Wahlkampftour von einem älteren Mann angesprochen. Antisemitisch. Zu sehen ist, dass Abwerzger nur schweigend nickt. Was so rüber kommt, als würde er zustimmen. Schnitt.
Nachdem der Beitrag ausgestrahlt war und Abwerzger in der Kritik stand, wehrte er sich. Er habe sehr wohl etwas gesagt. Woraufhin der ORF in einer ZIB tatsächlich weiteres Videomaterial veröffentlicht, auf dem zu sehen ist, dass er die Aussage „Stinkerte Juden darfst ja nicht mehr offen sagen, sonst bist gleich ein Nazi“, nicht unkommentiert ließ. Er erwiderte vielmehr: „Soll man auch nicht sagen.“
Dieser Kommentar macht aus der Geschichte eine andere Geschichte; eine, die dem Vorfall gerecht wird. Und die nicht mehr gegen Abwerzger spricht. Folglich ist die erste, die gekürzte Darstellung, indiskutabel. Im Übrigen ist aber auch die gesamte Darstellung fragwürdig: Esther Fritsch, Ehrenpräsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde, kritisierte gegenüber der Tiroler Tageszeitung, dass im ORF solch antisemitische Sager gezeigt werden – noch dazu ohne Kommentar von der Reporterin oder dem Studiomoderator. Wobei man ihr nur beipflichten kann.
Der springende Punkt bleibt nun darüber hinaus: Die ORF-Reform, die der vorauseilende Alexander Wrabetz zur Unzeit, nämlich zum Beginn einer neuen Legislaturperiode freiwillig angegangen ist, wird so erst recht zu einer Einladung für die Freiheitlichen, sich den ORF zu richten, wie es ihnen gefällt.
Die FPÖ rührt sich ausschließlich dann, wenn es ihr nicht passt, wie sie dargestellt wird. Das ist verräterisch.
Die Gefahr ist jedenfalls groß. Wrabetz ist nicht unbedingt als Mann bekannt, der sich gegen den Wind stellt; und zwar in eine Richtung, die ausschließlich für sein Unternehmen als ganz wichtiges Medium notwendig ist. Anders ausgedrückt: Man kann nicht davon ausgehen, dass er nun mit den noch deutlicher werdenden Forderungen aus den Reihen der FPÖ so umgeht, wie es sich gehört. Leider, eine Schwachstelle.
Wie sich die Partei den ORF vorstellt, kann man aus jeder ihrer Äußerungen über den ORF ablesen: Ihr geht es nicht um eine ausgewogene, sachliche und vor allem auch kritische Berichterstattung (> für eine Demokratie unverzichtbar); sie rührt sich ausschließlich dann, wenn es ihr nicht passt, wie sie dargestellt wird. Das ist verräterisch. Folglich würde sie auch nie auf die sauberste Lösung kommen, die ohnehin schon seit Jahren überfällig ist: nämlich die eines entparteipolitisierten ORF, in dem die Chefs der Landesstudios nicht mehr de facto von den Landeshauptleuten bestellt werden und in dem auch der oberste Stiftungsrat keiner parlamentarischen Kammer mit Leuten mehr gleicht, von denen zu viele eher nur Vollzugsorgan ihrer jeweiligen Parteizentrale sind.
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