Oppositionswüste

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ANALYSE. Mehr als in Wien und Oberösterreich schwächt das Proporzsystem in Niederösterreich die Opposition – und ermöglicht der ÖVP nebenbei auch einen doppelbödigen Umgang mit der FPÖ, der ihr nun jedoch zum Verhängnis werden könnte.

In Wien sind alle Gemeinderatsfraktionen in der Stadtregierung vertreten. Es gibt zwar eine rot-pinke Koalition, aber der Proporz will es so. Wobei es sich um einen Proporz nach Köpfen handelt, nicht nach Zuständigkeiten. Die Stadträte von ÖVP, FPÖ und Grüne haben gar keine Zuständigkeiten, werden daher als „nicht amtsführende“ bezeichnet, die quasi nur eine Art Arbeitslosenvergütung in Höhe von 9375,70 Euro pro Monat erhalten.

So ist Österreich. In der Mehrheit der Länder ist der Proporz immerhin längst gefallen. Vom Geist her handelt es sich um etwas, was demokratisch nicht unproblematisch ist. Es kann dazu führen, dass die Opposition geschwächt wird.

Kann, wie gesagt: In Wien hindert die bezahlte, aber nicht amtsführende Regierungsbeteiligung ÖVP, FPÖ und Grüne nicht daran, Oppositionsarbeit zu leisten. So haben sie erst unlängst einen Untersuchungsausschuss zur Wien Energie durchgesetzt.

In Oberösterreich sind die Oppositionsparteien schon etwas stärker in die Regierungstätigkeit eingebunden. Michael Lindner von der SPÖ ist ebenso Landesrat wie Stefan Kaineder von den Grünen. Und sie dürfen sich sogar um etwas kümmern. Um Aufgaben halt, die der türkis-blauen Koalition unter Landeshauptmann Thomas Stelzer (ÖVP) und Vize Manfred Haimbuchner (FPÖ) nicht so wichtig sind. Zum Beispiel Personenstandswesen (Lindner) und Lebensmittelaufsicht (Kaineder). Immerhin lassen sich Rote und Grüne dadurch aber nicht wahrnehmbar daran hindern, Opposition zu machen.

Am Konsequentesten wird Proporz in Niederösterreich gelebt, wo bei einer ÖVP-Absoluten nicht nur der Sozialdemokrat Franz Schnabl Landeshauptmann-Stellvertreter ist, sondern seine Parteikollegin Ulrike Königsberger-Ludwig für Teile des Gesundheitswesens verantwortlich ist, vor allem aber der Freiheitliche Gottfried Waldhäusl als zuständiges Regierungsmitglied Asylpolitik betreiben darf.

Positiv formuliert hat die ÖVP von Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) hier Größe gezeigt. Nüchtern betrachtet lässt sie einen Freiheitlichen hemmungslos machen, was seiner Partei wichtig ist. Zur Erinnerung: Waldhäusel hat jugendliche Flüchtlinge in einem gefängnisartigen Quartier im abgelegenen Ort Drasenhofen unterbringen lassen. Der Bürgermeister, ein ÖVP-Politiker, sprach von einer „Schande für Österreich“. Mikl-Leitner sah das weniger dramatisch. Sie lässt Waldhäusl bis heute gewähren. Mögliches Kalkül: Wähler rechts der Mitte müssen unter diesen Umständen nicht unzufrieden sein mit ihrer Regierung.

Es schwächt nun allerdings sie selbst: Wenn Mikl-Leitner kein Problem mit Waldhäusel hat, wie kann sie dann vor FPÖ-Spitzenkandidat Udo Landbauer warnen? Wo ist der wesentliche Unterschied? Auf Menschenrechte pfeift auch ihr blauer Landesrat, dem sie ausgerechnet das Asylwesen überlassen hat.

Problematisch ist auch, dass so konsequent praktizierter Proporz, der im Unterschied zu Oberösterreich und mehr noch Wien nicht nur der Form halber existiert, die Opposition wirklich schwächt. Die SPÖ jedenfalls, die bisher zweitgrößte Partei ist, präsentiert sich traditionell aufgrund ihrer Regierungsbeteiligung weniger als kritische Kontrollpartei. Echte Oppositionsparteien, die nicht in der Regierung vertreten sind, gibt es in Niederösterreich nur zwei: Die kleinen Grünen und die Neos, die so klein sind, dass sie nicht einmal über einen Klubstatus verfügen. Niederösterreich ist so gesehen nicht nur eine Medien-, sondern auch eine Oppositionswüste.

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