Ohne Gegner

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ANALYSE. Der FPÖ-Chef legt offen, wie er tickt und was er will, wird jedoch nicht umfassend herausgefordert. Woran das liegt.

Der „Volkskanzler“ würde sich also erwarten, dass Medien zum Beispiel eine Gesundheitsministerin Beate Hartinger-Klein bei einem Projekt wie der Zusammenlegung von Sozialversicherungen unterstützen. Und keine Fragen stellen und schon gar nicht hinterher darauf hinweisen, was Rechnungshof, Wirtschaftsforschungsinstitut und viele andere von vornherein gesagt haben: Die Patientenmilliarde war ein Schmäh. Es ging rein um eine Entmachtung lästiger Arbeitnehmervertreter im System.

Verhalten sich Journalisten wie Martin Thür da nicht im Sinne des „Volkskanzlers“, können sie sich etwas anhören: „Unsauberen Journalismus“ würden sie betreiben, sagt Herbert Kickl dann. Zwischendurch droht er ihnen gar, dass sie „vielleicht“ ein „juristisches Problem“ bekommen könnten. Geschehen im Sommergespräch.

Das sollte man nicht kleinreden: Thür arbeitet für den ORF und den ORF will sich Klickl einverleiben. Sein Mann fürs Grobe, Peter Westenthaler, leistet im Stiftungsrat längst Vorarbeit.

Der Staat, den der „Volkskanzler“ anstrebt, ist einer, der bei den eigenen Staatsangehörigen nicht sparen muss, ja der Entlastungen vornehmen kann. Der irgendwo noch über eine Geldruckmaschine zu verfügen scheint. Der daneben jedoch schaut, dass Zuwanderer möglichst wenig erhalten. Allenfalls Versicherungsleistungen, die sie sich zuerst einmal erarbeiten müssen. Aber keine Sozialleistungen, wie Kickl betont. Sprich: Es wird ihnen möglichst schwergemacht, Fuß zu fassen und hier neu zu starten. Was auf größere Integrationsprobleme hinausläuft und somit dem Kickl`schen Geschäftsmodell entspricht: Mit Problemen lässt sich Politik machen.

Sorge, inhaltlich groß herausgefordert zu werden, muss Kickl keine haben: Es ist eher so, dass Türkise die gerade erwähnten Forderungen kopieren. Stichwort Wartezeit auf Sozialleistungen. Kontern werden sie kaum.

Das ist ein grundsätzliches Problem, das über die ÖVP hinausgeht. Beispiel 1: Gezielt hat Kickl im Sommergespräch immer wieder an die Coronazeit erinnert. Da habe es „ein unmenschliches Regime“ und die „Impfpflicht“ gegeben. Fakt ist: Es war eine „demokratische Zumutung“ (Angela Merkel), von einem „unmenschlichen Regime“ zu reden, ist jedoch zynisch, wenn man an unmenschliche Regime in Russland oder Nordkorea etwa denkt.

Die Impfpflicht wiederum war ein Fehler, damit ging eine verhängnisvolle Verhärtung einher, die dazu beiträgt, dass die Impfbereitschaft nachhaltig weiter zurückgegangen ist. Problem: Das scheint fast allen unangenehm zu sein. Aber offen aussprechen? Einzig Gerald Loacker hat jüngst erklärt, dass die Zustimmung zur Impfpflicht der größte Fehler der Neos gewesen sei. Im Übrigen wird es aber vorgezogen, zu alledem zu schweigen und Kickl eben nicht in die Parade zu fahren. Punkt für ihn.

Beispiel 2: Kickl ist und bleibt putinfreundlich. Wie sein Vorbild, der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban. Dessen Lockerung der Zuwanderungsbestimmungen für russische Staatsangehörige in Zeiten, in denen Putin einen hybriden Krieg gegen Europa führt, ist ihm egal. Im Sommergespräch hatte er nichts daran auszusetzen. Abgesehen davon bekräftige er, aus dem Raketenabwehrsystem „Sky Shield“ aussteigen zu wollen. Türkise mögen Klimaschutzministerin Leonore Gewessler (Grüne) wegen nichts als „Staatsgefährderin“ bezeichnen, hier sind sie jedoch kleinlaut. Grund: Seit Kriegsbeginn würgen sie jede ernsthafte Auseinandersetzung mit Sicherheits- und Verteidigungspolitik mit dem Ruf „Neutralität!“ ab. Zu „Sky Shield“ sagen sie allenfalls, dass es damit vereinbar sei. Punkt. Zumindest Grüne und Sozialdemokraten füllen die Lücke nicht. Die Folge: Es gibt ein unterentwickeltes Problembewusstsein in Österreich, Kickl kann damit rechnen, in so großen Teilen der Bevölkerung auf Verständnis zu stoßen, dass gerade Mitbewerber, die um ein und dieselbe Wählerschaft ringen wie er, zögern, ihm entgegenzutreten und klarzustellen, dass sich Freiheitliche mit seinen Positionen disqualifizieren würden für sie.

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