ANALYSE. Zum erhofften Triumph kann Kurz nur kommen, wenn die Freiheitlichen stark verlieren. Also hilft er jetzt nach.
Von einem Stimmenanteil von rund 40 Prozent bei der Nationalratswahl Ende September hat sich die neue ÖVP von Sebastian Kurz zuletzt entfernt. An Stelle eines Ergebnisses, das sie von einem großen Triumph reden lassen könnte, der eine Koalition gegen sie schier unmöglich machen würde, geht’s eher Richtung 35 Prozent. Auch das wäre ein ordentliches Plus, aber halt kein so fulminantes.
Die Gründe, die alles ein bisschen anders kommen ließen als bei Aufkündigung der schwarz-blauen Koalition im Mai, sind bekannt: Die Themenlage hat sich geändert; plötzlich wird nicht nur über Flüchtlinge, sondern auch übers Klima geredet (und das ist keine ÖVP-Stärke). Die ÖVP selbst ist in Bezug auf die Parteienfinanzierung ins Visier der Staatsanwaltschaft geraten. Die Schredder-Affäre. Vor allem aber: Die FPÖ ist bisher nicht abgestürzt. Bei der EU-Wahl hat sie überraschend gut abschnitten.
Und genau das ist der Kern des ÖVP-Problems: So lange die Freiheitlichen um die 20 Prozent halten, kann sie nicht viel mehr als 35 Prozent holen. Also muss sich aus ihrer Sicht etwas ändern. Sonst sind zwei, drei Dinge schwer möglich:
- Eine Zweierkoalition mit Neos oder Grünen (und wenn es sich dabei nur um Optionen handelt, die Kurz‘ Position bei Koalitionsverhandlungen ungemein stärken würden).
- Eine Fortsetzung von Schwarz-Blau mit der Klarstellung, dass die ÖVP die führende und die FPÖ bloß eine dienende Rolle hätte.
- Ganz zu schweigen von einer Minderheitsregierung: Im Puls 4-Sommergespräch hat Kurz eine solche ausdrücklich als Möglichkeit bezeichnet. Gegen eine 20-Prozent-FPÖ ist eine Minderheitsregierung für die ÖVP jedoch illusorisch. Eine Duldung durch die Freiheitlichen würde dann von vornherein so teuer werden, dass es gleich besser wäre, wieder in eine Koalition zu gehen.
Also macht sich die neue ÖVP daran, nachzuhelfen und die FPÖ-Krise zu verschärfen. Sie treibt sie inhaltlich in die Enge. Und zwar nicht etwa anhand von Aussagen, die Heinz-Christian Strache im Ibiza-Video getätigt hat (was sachlich ebenfalls geboten wäre), sondern anders. Erstens: Kurz selbst schließt einen Innenminister Herbert Kickl für die Zukunft aus. Zweitens: Klubobmann August Wöginger besteht auf einem Verbot der Identitären; das sei eine Koalitionsbedingung.
Das bringt die Freiheitlichen in eine Lose-Lose-Position: Wollen sie weiterhin mitregieren, müssen sie die Bedingungen erfüllen. Das würde jedoch einer Selbstaufgabe gleichkommen. Weisen sie die Bedingungen zurück, begeben sie sich insbesondere in Bezug auf die Identitären in eine extremistische Ecke und schrecken potenzielle wie bisherige Wähler ab. Herbert Kickl würde das in Kauf nehmen. Seine eigenen Persönlichkeitswerte sagen ihm: Lieber von vielen abgelehnt und von einigen geschätzt werden als fast allen egal zu sein. Das ist jedoch nicht der Zugang von Norbert Hofer, der sich der Auseinandersetzung mit der ÖVP eher entzieht. Womit wiederum FPÖ-interne Konflikte vorprogrammiert sind.
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