ANALYSE. Ermittlungen gegen den Kanzler werden gleichgesetzt mit dem Verhalten einzelner Abgeordneter.
Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und seine Mitstreiter können zufrieden sein: In Österreich wird nicht nur über die Ermittlungen der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) gegen ihn, Kurz, gesprochen; und auch nicht mehr über seine Aufforderung, einem Kirchenvertreter „Vollgas“ zu geben, geschweige denn über die Weigerung von Finanzminister Gernot Blümel (ÖVP), dem parlamentarischen Ibiza-U-Ausschuss auf Anordnung des Verfassungsgerichtshofes (VfGH) gewünschte Akten zu liefern, bis der Exekutor vor der Tür stand. Es gibt immer auch ein „Aber“, das Türkise durch beharrliches Wiederholen, Zuspitzen und Bekräftigen zu einer Art Pflicht gemacht haben: „Die Opposition“ verhält sich demnach auch alles andere als korrekt, sie arbeitet mit Provokationen, dreht einem das Wort im Mund um und benimmt sich bisweilen überhaupt vollkommen daneben.
Dieses „Alle haben ein Problem“ war sogar Teil der Rede von Bundespräsident Alexander Van der Bellen unmittelbar vor dem Pfingst-Wochenende: Regierungsmitglieder forderte er zu Respekt gegenüber staatlichen Institutionen auf (wie der WKStA und dem VfGH), auch Oppositionsvertreter zu ordentlichen Umgangsformen und Anstand im Allgemeinen: „Niemand wird Sie verhaften, wenn Sie beim Essen die Füße auf den Tisch legen. Aber tun Sie es lieber nicht. Ich jedenfalls wünsche mir mehr Respekt und Höflichkeit im Umgang miteinander. Auch deswegen, weil wir vor großen Aufgaben stehen. Um diese zu meistern, braucht es Dialog- und Gesprächsfähigkeit von allen Seiten und zuvor eine Abrüstung der Worte.“
Vielleicht war damit etwa NOES-Chefin Beate Meinl-Reisinger gemeint, die in einem Ö1-Morgenjournal von einem „kriminellen Bundeskanzler“ sprach oder ihre Parteikollegin im U-Ausschuss, Stephanie Krisper, die laut stenographischem Protokoll einmal gemeint hat, alle würden ihr „am Oasch“ geh’n. Man weiß es nicht. So konkret ist Van der Bellen nicht geworden.
Die ÖVP kann zufrieden sein: „Message Control“ hat erreicht, dass gewisse Dinge, die nichts miteinander zu tun haben, nicht getrennt voneinander beurteilt werden. Nicht einmal mehr vom Bundespräsidenten. Ergebnis: Aussagen wie „krimineller Bundeskanzler“, die für sich genommen inakzeptabel sind, auch wenn sie in eine Frage eingebettet sind („Ist ein krimineller Bundeskanzler den Menschen in Österreich zumutbar?“), relativieren die Ermittlungen gegen Kurz, das Ignorieren eines VfGH-Ergebnisses durch Finanzminister Gernot Blümel und vieles andere mehr. Ja, sie wirken fast schon entschuldigend dafür.
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