ANALYSE. Anderslautende Einschätzungen übersehen längst laufende Bewegungen weg von den Parteien – von denen immer weniger übrig ist.
Bezeichnend für die Krisen der beiden ehemaligen Großparteien ist, dass immer wieder von Spaltungen oder Abspaltungen die Rede ist. Im Falle der SPÖ mag es sich „nur“ um nicht belegbare Einschätzungen von Außenstehenden handeln, die etwa behaupten, der Traiskirchner Bürgermeister Andreas Babler könnte sich im Falle einer Niederlage bei der Mitgliederbefragung über den Parteivorsitz verselbstständigen. Das ist zu bezweifeln. Geschlossenheit wird der oder die Gewinner:in dieser Befragung aber erst wieder herstellen müssen. Gräben, zum Beispiel zischen der Wiener Landesorganisation von Michael Ludwig und der burgenländischen von Hans Peter Doskozil gibt es – und sie sind groß.
Im Falle der ÖVP ist Ex-EU-Kommissar Franz Fischler gerade deutlicher geworden: Wenn seine Partei Herbert Kickl zum Bundeskanzler machen würde, würde er austreten, erklärte er gegenüber der „Tiroler Tageszeitung“. Außerdem geht er davon aus, dass es dann zu einer Parteispaltung kommen würde. Es wäre der Beginn einer neuen konservativen Bewegung, wie er meint.
These: Weder in der SPÖ noch in der ÖVP wird es zu einer Spaltung kommen. Ausschlaggebend dafür sind Prozesse, die bereits laufen. In Salzburg gab es jüngst etwa bezeichnende Abwanderungen: Bei der Landtagswahl wechselte ein Fünftel der bisherigen ÖVP-Wähler zur FPÖ und ein Sechstel der bisherigen SPÖ-Wähler zur KPÖ. Das wird man jetzt nicht als Abspaltung bezeichnen können, es läuft jedoch darauf hinaus: Aus den beiden ehemaligen Großparteien heraus wächst neben diesen etwas Neues (KPÖ plus) oder Bestehendes (FPÖ) weiter.
Im Falle der ÖVP sind Bürgerlich-Liberale im Übrigen längst zu den Neos gewechselt und – wie auch im Falle der SPÖ – andere zu den Grünen. Die beiden Kleinparteien halten zusammen immerhin gut 20 Prozent auf Bundesebene. Das ist nicht wenig.
Viel mehr wird jedoch schwer zu holen sein für sie. Was zu einem entscheidenden Argument gegen echte ÖVP- oder SPÖ-Abspaltungen überleitet: Es mit einer eigenen Bewegung in absehbarer Zeit in eine Position bringen zu können, die es ermöglicht, bestimmend mitzuregieren, ist unwahrscheinlich. Genau das wiederum hält davon ab, es zu versuchen – und trägt dazu bei, sich zu arrangieren.
Die föderal strukturierte ÖVP hat das einerseits in sich verinnerlicht. Im Zweifelsfall gibt sich jede Landesorganisation eigenständig. Im Grunde aber schätzt sie, was sie am Bund hat, sofern er an der Regierung beteiligt ist und etwa den Finanzminister stellt.
Andererseits ist die ÖVP nur noch ein Interessensdurchsetzungs- und -befriedigungsverband. Franz Fischler hat die Entwicklung zu einer solchen schon sehr früh gesehen. In einem Interview mit dem „Standard“ meinte er im Mai 2017 zum Amtsantritt von Sebastian Kurz an der ÖVP-Spitze: Wenn das Experiment mit ihm schiefgeht, werde die ÖVP zerfallen.
Natürlich, bisher ist es nicht dazu gekommen. Das liegt aber daran, dass sie A) schon in den Jahren vor Kurz sehr viel verloren hat (nicht nur Wähler, sondern auch potenzielle Akteure wie Matthias Strolz und Beate Meinl-Reisinger); dass sie B) durch Kurz zum Ausdruck gebracht hat, dass sie mit sich selbst fertig ist und ihn daher in der Hoffnung, dass er ihr zumindest Machterhalt bringt, schalten und walten lässt, wie es ihm gefällt; und dass C) in ihren Reihen auch heute kein Ringen um irgendeine Ausrichtung feststellbar ist.
Soll heißen: Hier gibt es nicht einmal mehr eine ernstzunehmende Kraft für eine Abspaltung; geschweige denn eine, die als bürgerliche-konservative Bewegung im Sinne Fischlers attraktiv genug wäre, um, sagen wir, auch nur in einen zweistelligen Prozentbereich zu kommen.