ANALYSE. Ablösespekulationen weisen vor allem auf den Zustand der Österreichischen Volkspartei hin: Er könnte schnell dem der Sozialdemokratie ähneln.
Vorarlbergs Landeshaupt- und ÖVP-Obmann Markus Wallner lässt ausrichten, dass es sich um eine „völlig unnötige Spekulation“ handle, an der man sich nicht beteilige. Die „Süddeutsche Zeitung“ hatte berichtet, dass man sich in der Volkspartei aufgrund der Causa „Mutmaßliche Falschaussage vor dem Ibiza-U-Ausschuss“ mit allen möglichen Szenarien auseinandersetze, etwa auch der Variante, dass Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) sein Amt ruhen lassen müsse: „Dem Vernehmen nach könnte der Vorarlberger Landeshauptmann Markus Wallner für ihn einspringen.“
Nein, das hier wird kein Nachruf auf Sebastian Kurz. Überhaupt spricht es grundsätzlich für die Partei, dass sie sich mit allen Möglichkeiten beschäftigt. Das sollte jede Organisation machen. Permanent. Einerseits. Andererseits aber führt die Frage, was – wann auch immer – nach oder besser gesagt ohne Kurz sein könnte, zu einem ernüchternden Befund für die Partei: Da ist wenig.
Sebastian Kurz hat auf Bundesebene alles auf sich ausgerichtet. Von Landesobleuten und Bündechefs hat er sich 2017 ausdrücklich dazu ermächtigen lassen. Das war nicht nur Show. Von der Parteizentrale in der Lichtenfelsgasse bis zur Parteiakademie in der Tivoligasse hat er wesentliche Posten mit Vertrauten besetzt. Aus der ÖVP hat er für die Außenwirkung eine PR-Agentur und fürs Übrige einen Machtmaximierungsbetrieb gemacht. Er kontrolliert mit seinen Leuten die Kabinette türkiser Ministerinnen und Minister inklusive ebendieser. Sie funktionieren, wie es ihm gefällt (was nebenbei auch ein Licht auf sie wirft).
Die Wahlerfolge der ÖVP von 2017 und 2019 beruhen zu einem erheblichen Teil allein auf der Person Sebastian Kurz bzw. seiner Gabe, zu sagen, was Massen gerne hören und sie so zu gewinnen. Und zumal er neben sich selbst auch auf parlamentarischer Ebene keine wahrnehmbare, eigenständige Persönlichkeit wirken lässt, beginnt man zu ahnen, was der ÖVP droht, wenn er einmal nicht mehr ist: Sie könnte sehr schnell dem Zustand nahekommen, in dem sich die Sozialdemokratie seit geraumer Zeit befindet.
Gerne wird bei der ÖVP auf funktionierende Landesorganisationen verwiesen, die mit ihren Leuten einspringen könnten. Das täuscht jedoch darüber hinweg, dass es hier um eine ganz andere Liga geht: Die Niederösterreicherin Johanna Mikl-Leitner mag eine beliebte Landeshauptfrau sein, als Innenministerin hatte sie keine berauschenden Persönlichkeitswerte. Beim Steirer Hermann Schützenhöfer ist schwer vorstellbar, dass er sich im Kanzleramt lange halten könnte. Markus Wallner vielleicht eher, aber auch er müsste erst ganz neue Qualitäten zeigen, wenn er mehr sein sollte als nur ein vorübergehender Ersatzmann für Sebastian Kurz.
Mit den „Ländern“ ist zunächst einmal nur Organisatorisches abgedeckt. Wenn das jedoch reichen würde, wäre die ÖVP in der Vergangenheit nie unter 40 Prozent gekommen. Entscheidend ist gerade auf Bundesebene außerdem das personelle Angebot, das einen Inhalt transportiert, der zumindest eine relative Mehrheit der Wählerinnen und Wähler überzeugt – und das in einer Gesellschaft, die in ihrer Vielfalt und Dynamik vom Boden- bis zum Neusiedlersee immer schwerer zu fassen ist. Da lässt sich Kurz nicht kopieren.
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