ÖVP kapiert’s nicht

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ANALYSE. Alle Parteien können zumindest zufrieden sein mit dem Wahl-Wahl-Ergebnis. Bis auf eine.

Nach den 41,6 Prozent vor fünf Jahren sind die 39,5 Prozent, die die Wiener SPÖ unter Führung von Bürgermeister Michael Ludwig bei der nunmehrigen Gemeinderatswahl erzielt hat, keine Niederlage. Es zeigt viel mehr, dass sich Regierende auch in Zeiten wie diesen einigermaßen halten können.

Spannend wird, wie sich das SPÖ-intern auswirken wird: Der rechte Flügel um den Burgenländer Hans Peter Doskozil hat schon im Jänner überrascht, als dessen Landesorganisation nur von knapp 50 auf rund 46 Prozent verlor. Jetzt hat der „Pragmatiker der Macht“-Flügel um Ludwig nachgelegt, der im Werben um Stimmen auch nach rechts blinkt, wenn er findet, dass das etwas bringt. Das könnte den Druck auf Andreas Babler (SPÖ) erhöhen, zu liefern, was eine Perspektive auf einen Wahlerfolg eröffnen könnte. Und was er bisher – siehe Nationalratswahl, siehe Umfragewerte – nicht zusammengebracht hat.

Die sogenannten Kleinen wiederum können hochzufrieden sein mit dem Ergebnis der Wien-Wahl: Die Grünen haben ihren Stimmenanteil mit 14,5 Prozent de facto halten könne. Sie haben nicht groß weiter verloren. Vielleicht sind sie wieder zurück auf der Spur. Und die Neos: Sie haben ihren Stimmenanteil um gut ein Viertel auf rund zehn Prozent erhöhen können. Obwohl ihr „Spitzenkandidat“ Christoph Wiederkehr in die Bundesregierung abwanderte und zwei bisher weithin unbekannte Kolleginnen von ihm übernahmen. Andererseits: Offenbar profitieren die Pinken davon, Regierungsverantwortung auf Bundesebene übernommen zu haben. Er scheint derzeit goutiert zu werden.

Die FPÖ hat ihren Stimmenanteil verdreifacht. Eigentlich mager. Sie ist damit – nach dem historischen Absturz in Folge der Ibiza-Affäre 2020 – um ein Drittel unter ihrem Wert von der Gemeinderatswahl 2015 geblieben. Sie erreichte rund 20 und nicht, wie damals, über 30 Prozent. Man sollte es jedoch nicht kleinreden, sondern sehen, dass die Partei damit wieder die klar zweitstärkste Partei in der Bundeshauptstadt ist, in der es eine Mehrheit links der Mitte gibt.

Wenn hier jemand ein Problem hat und es nicht sehen will, dann ist es die ÖVP: Von über 20 auf unter zehn Prozent. Mit einer unmissverständlich türkisen Ausrichtung, die Sebastian Kurz gefallen könnte, ist die Partei damit im urbanen Raum endgültig zu einem Schatten ihrer selbst geworden, chancenlos gegen Freiheitliche und zunehmend auch auf dem kürzeren Ast im Vergleich zur Mittepartei Neos, die sie in Wien gerade knapp, aber doch überholt haben dürfte.

So kann Christian Stocker sein Ziel, die ÖVP auf Bundesebene wieder auf Platz eins zu führen, vergessen. So und in Verbindung mit einer gewissen Selbstgefälligkeit in seinem Umfeld wird es sich nicht ausgehen: Dort glaubt man, es reiche, ihn als „Buddha“ als besonnen Mann in stürmischen Zeiten zu positionieren. Wobei die Rolle zu ihm passt und ihre Qualitäten hat.

Mehr denn je muss jedoch ein Aber hinzugefügt werden: Es fehlt der Inhalt. Wohin will Stocker die Partei und das Land führen? Welches Bild hat er von der Gesellschaft? Wie will er Menschen gewinnen? Da sind vorerst unendlich viele Leerstellen, die Stocker durch seine Zurückhaltung Parteifreunde in Wien füllen lässt, die die Stadt schon einmal als „Messermetropole“ bezeichnen, oder seine Integrationsministerin Claudia Plakolm, die ein Kollege gerade als weibliche Sebastian Kurz bezeichnet hat, weil sie dessen Rechtspopulismus eins zu eins fortgesetzt.

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