ANALYSE. Die neue Volkspartei von Sebastian Kurz geriet zuletzt in die Defensive – und versucht nun genau im Zusammenhang damit einen Erfolg zu erzielen. Gut möglich, dass das aufgeht.
Dass sich der Nationalratswahlkampf für die neue Volkspartei von Sebastian Kurz ganz anders darstellt als der im Jahr 2017, hat auch damit zu tun: Entscheidende Assets von damals fallen weg. Von einer Schließung der Balkanroute zu reden, wäre heute ein bisschen daneben. Sagen, dass man alles besser machen würde, können Kurz und Co. auch nicht mehr, nachdem sie ja schon selbst am Werk gewesen sind und angeblich ohnehin schon alles besser gemacht haben. Auch das mit den „frischen“ Expertinnen und Experten für eine Regierung ist schwer bis un-möglich: Hartwig Löger z.B. kann nach so wenig Zeit kaum als Finanzminister ersetzt werden; das wäre ein Eingeständnis.
All das fällt also weg gegenüber dem letzten Nationalratswahlkampf, und damit ist auch ziemlich viel Schwung rausgenommen. Die einzige Ansage diesmal lautete: Schwarz-Blau habe einen guten Job gemacht. Wer diesen weiterhin haben möchte, musst jetzt aber wirklich die ÖVP wählen; weil die FPÖ hat durch Heinz-Christian Strache in dem Ibiza-Video gezeigt, wie sie tickt. Echter Heuler ist das jedoch nicht. Und überhaupt: Die Rechnung, dass die FPÖ abgestraft wird und dass sie daher abstürzen wird, geht nicht auf (aus Gründen, die hier ausgeführt sind).
Wie will die ÖVP also groß gewinnen? Sie versucht einen Erfolg aus dem zu machen, was ihr vermeintlich extra zusetzt: Die Schredderei, die ein ehemaliger Kanzlermitarbeiter unter Angabe eines falschen Namens privat durchführen ließ. Oder das Eingeständnis, Großspenden gestückelt zu haben, um sie nicht gleich veröffentlichen zu müssen. Oder nun der Bericht der Wiener Stadtzeitung „Falter“ über eine Art doppelte Buchführung, wobei die Partei dies ersten zurückweist, zweitens eine Klage angekündigt hat, drittens aber keine Zahlen kommentiert, die der „Falter“ präsentiert hat.
Wie auch immer: Unterm Strich werden diese Dinge allein die Aussichten von Kurz und Co. noch kaum trüben. In Österreich sind die Vorwürfe, mit denen sie da konfrontiert sind, zumindest für eine Mehrheit eher keine solchen. Da müssten sie schon viel schwerwiegender sein. Und selbst dann ist nichts fix. Siehe Ibiza-Affäre: Was Ex-Vizekanzler Heinz-Christian Strache in dem Video gesagt hat, gilt eher nur als Schlitzohrigkeit. Es ist aber nicht unverzeihlich. Anders ausgedrückt: Ein Politiker darf z.B. durchaus sagen, dass er Staatsaufträge freihändig vergeben würde. Sind ja nur Worte. Das schadet ihm und seiner Partei noch lange nicht. Siehe EU-Wahl bzw. FPÖ- sowie Vorzugstimmenergebnis für Strache.
Die ÖVP berichtet nun, Opfer eines gezielten Hackerangriffs und von Datenfälschungen geworden zu sein. Das sind schwerwiegende Delikte. Sie müssen aufgeklärt und geahndet werden. Ganz klar. Ohne diesbezüglich auch nur irgendetwas von den zuständigen Behörden abzuwarten, setzt Kurz aber gleich noch eins darauf: „Das ist nicht nur ein Angriff auf die Volkspartei, sondern auch ein Angriff auf das demokratische System“, urteilt er. Sprich: Wer für das demokratische System ist, muss sich auch im Sinne der Volkspartei dagegen verwehren.
Gut möglich, dass genau das einen Mobilisierungseffekt auslöst: Dinge wie die Schredderei, die gestückelten Großspenden und die angebliche Buchführung treten vollends in den Hintergrund. Im Vordergrund steht dies: Unbekannte Kräfte gehen angeblich mit krimineller Energie gegen die Volkspartei und zugleich Österreich vor: „Dagegen muss man sich auch im Sinne der Partei verwehren.“
1 Comment